Ein Groschenroman mit großer Musik

Giacomo Puccinis frühe Oper „Edgar” in der Allerheiligen Hofkirche der Residenz
Volker Boser |
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Regisseur Andreas Wiedermann hatte eine Idee. Bei ihm beginnt Puccinis Frühwerk „Edgar” mit einem zehnminütigen, stummen Defilee des Chores: Von links rennen, hasten oder schlurfen einzelnen Akteure über die Bühne zu einem am rechten Rand stehenden Schreibtisch, an dem der Held Platz genommen hat. Geduldig stempelt er Formulare. Ein kleiner Beamter schiebt Dienst – und träumt ganz nebenbei davon, einmal ein richtiger Supermann zu sein.

Sobald die Musik beginnt, mutiert Edgar vom stinknormalen Durchschnittstypen zum emotionalen Neurotiker. Er wird von zwei Frauen geliebt, die eine brav wie Desdemona, die andere ein Luder wie Carmen. Dass er durchdreht, sein Haus anzündet und am Ende seine eigene Leichenrede halten darf, ist zwar wenig glaubhaft, kommt aber in der Oper gelegentlich vor: Eine krude Story, angesiedelt zwischen naiver Grand-Guignol-Dramatik und Groschenroman-Sentimentalität, kaum aufgeführt – was schade ist.

Denn die Musik, die sich Puccini dazu ausgedacht hat, hätte es verdient, zu überleben. Sie nimmt „Tosca” und „Turandot” vorweg, geizt nicht mit Effekten und melodischen Schmankerln. Wegen ihr ist die die von der freien Theatergruppe Opera Incognita in der Allerheiligen Hofkirche präsentierte szenische deutsche Erstaufführung empfehlenswert. Denn der Dirigent und Arrangeur Ernst Bartmann hat die Orchesterbesetzung zwar arg gestutzt, aber stets darauf geachtet, klangliche Kompromisse zu vermeiden. Und die mehr als achtbaren Sänger – Hui Jin, Dorothea Spilger, Torsten Petsch, Dorothee Koch – retten bravourös, was die Inszenierung durch alberne Aktionen in Frage stellt: dass nämlich „Edgar” trotz unsinniger Story musikdramatisch durchaus zu überzeugen vermag – und deshalb geradezu ideale Voraussetzungen für eine konzertante Aufführung geboten hätte.

Allerheiligen Hofkirche heute sowie am 2.,3. und 4. September. Karten an der Abendkasse oder unter Tel. 0151/15 80 90 91

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