Ein gar nicht leises Servus

Ja, er meint es ernst, das ist wirklich die Tour, mit der er Servus sagt: Pianist Alfred Brendel spielte auf seiner Abschieds-Tournee im Herkulessaal.
von  Abendzeitung

Ja, er meint es ernst, das ist wirklich die Tour, mit der er Servus sagt: Pianist Alfred Brendel spielte auf seiner Abschieds-Tournee im Herkulessaal.

Alles war eigentlich wie immer. Der Herkulessaal samt Podium proppenvoll. Das Repertoire reicht von gewitztem Haydn bis zu grübelndem Schubert. Hastigen Schritts stakst Alfred Brendel zum Flügel. Nur die Leidensmiene, mit der er gemeinhin durch dicke Brillengläser ins Publikum blickt, hellt sich noch vor dem ersten Ton auf. Oder sagen wir, er hatte statt der üblichen Zitrone die etwas mildere Essiggurke im Mund. Aber das mag man sich einbilden.

Trotzdem war von Anfang an so etwas wie Erleichterung zu spüren. Ja, Brendel meint es ernst, das ist wirklich die Tour, mit der er Servus sagt – mezzoforte, versteht sich – und dann nur noch zum eigenen Vergnügen, also ganz für sich selbst spielt. Vermutlich hat er das schon immer getan (ein Geheimnis seines Erfolgs), nur eben auf renommierten Bühnen. Das Publikum bekam dabei nie billigen Zucker serviert, dafür ging Brendel seinen Wiener Hausgöttern mit kauzigem Eifer ans Eingemachte. Ganz ohne Glamour und peinliche Virtuosen-Gestik. Auf prosecco-perlende Tasten-Akrobatik hatte er sowieso keine Lust.

Wozu auch. Brendel konzentrierte sich aufs Wesentliche im vermeintlich Bekannten. Das grub er um mit einer Nonchalance, die stets aufs Neue verblüffen konnte. Und noch heute frappiert. Fast improvisiert wirkt sein Einstieg zu Beethovens Es-Dur-Sonate op. 27/1. Erst langsam nimmt dieses Vortasten Gestalt an, das „quasi una fantasia“ wird evident wie selten und gewinnt doch ganz wie von selbst kraftvolle Tiefe. Harmonische Wendemanöver geraten zum Clou.

Dagegen setzt der 77-Jährige in Haydns f-moll-Variationen die beiden Themen lässig nebeneinander, lässt sie quasi miteinander spielen und entdeckt so das köstliche Raffinement dieser Musik. Das fast mechanische Auseinanderdividieren der einzelnen Stimmen macht Mozarts Sonate in F-Dur zwar gewöhnungsbedürftig. Aber Brendels Weg ist auch hier sinnfällig. Wie so oft.

Und Schubert, Heroe Nummer vier im Brendelschen Klavierkosmos? Mit der B-Dur-Sonate D960 ein Farewell-Programm zu beenden, hat fast etwas Verwegenes. Doch nicht bei Brendel, der dieses schmerzgewaltig hoffnungsvolle Werk vielleicht schon kruder gespielt hat, aber kaum so berührend. Ein abgeklärter Fiebertraum, der von der Größe Schuberts kündet, beherzt im Tempo und ungemein konzentriert – wie dieser ganze Abend.

Zwischen Ovationen und Liszt-Zugabe fragt in Reihe sechs eine ältere Dame ihren in Auflösung begriffenen Nachbarn, warum der Brendel eigentlich aufhöre. Der könne doch „ruhig noch a bisserl weitermachen“. Stimmt, aber genau das ist der ideale Moment, um Adieu zu sagen. Auch wenn an diesem Abend alles wie immer war. Fast alles.Christa Sigg

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