„Ein ganz lieber Mann“
Der Schauspieler Matthias Schweighöfer spielt in „Mein Leben“ Marcel Reich-Ranicki. Bei Kaffee und Kuchen hat er den 88-Jährigen kennengelernt.
Dem Drehbuchautor Michael Gutmann gab Marcel Reich-Ranicki nur einen Satz mit auf dem Weg: „Bitte langweilen Sie das Publikum nicht.“ Autor, Regisseur Dror Zahavi und Hauptdarsteller Matthias Schweighöfer scheinen alles richtig gemacht zu haben. „Fabelhaft“, lautete das Urteil des 88-Jährigen über die Verfilmung seines Lebens – die Kindheit in Polen, die Jugend in Berlin, das Leben im Warschauer Ghetto und die Flucht aus dem Ghetto mit seiner Frau Tosia.
AZ: Herr Schweighöfer, Reich-Ranicki mag den Film. Ist Ihnen da ein großer Stein vom Herzen gefallen?
MATTHIAS SCHWEIGHÖFER: Das hat mich sehr gefreut.
Hatten Sie Angst vor seinem Urteil?
Angst nicht, aber großen Respekt. Ich bin wirklich froh.
Welchen Stellenwert hat die Rolle für Sie selbst?
Reich-Ranicki ist eine tolle Figur, ich bin sehr glücklich, dass ich sie spielen konnte. Gerade jemanden darzustellen, der noch lebt und das Ergebnis selbst sehen kann, ist etwas sehr Besonderes.
Sie haben ihn persönlich getroffen. Ist Marcel Reich-Ranicki ein abgedrehter Bücherwurm, der gerne austeilt?
Nein, ich habe ihn bei Kaffee und Kuchen als sehr herzlichen Menschen erlebt. Man darf ihn vielleicht nur nicht auf der Literaturebene angreifen, da hat er seine eigene Haltung und Meinung. Ansonsten ist er ein ganz lieber Mann, sehr interessiert an allem, vor allem auch an meiner Arbeit.
Hemmt es nicht, dem Menschen, den man spielen soll, gegenüberzustehen?
Nein, ich wollte Reich-Ranicki unbedingt kennenlernen, auch um zu sehen, wie er sich bewegt. Mich interessierte, was er noch zu erzählen hatte, vor allem, was vielleicht nicht in seiner Autobiografie „Mein Leben“ steht. Seine Frau Tosia zu treffen und zu sehen, wie sich die beiden zueinander verhalten, war für mich sehr wichtig. Katharina Schüttler, die Tosia spielt, und ich haben die beiden zu Hause getroffen und auch gefragt, wie es damals war. Ob sie sich berührt haben und geküsst...
Können Sie sich vorstellen, dass die beiden schon ihr ganzes Leben lang ein Paar sind?
Ich glaube, dass das, was sie in ihren jungen Jahren erlebt haben, einfach unglaublich zusammenschweißt. Auch wenn sie sicherlich ihre Höhen und Tiefen hatten, haben sie an ihrer Beziehung immer gearbeitet. Heute geben die Leute einfach zu schnell auf, haben keine Lust mehr, an ihrer Beziehung festzuhalten. Es ist eben einfacher, in eine neue Beziehung zu springen. Die Leute haben heutzutage Angst vor Anstrengungen.
Die Geschichte handelt noch von einer anderen Liebe, von der zur deutschen Literatur. Können Sie sich vorstellen, dass die so groß sein kann, dass man wie Reich-Ranicki ins Land der Täter zurückkehrt?
Ich kann das durchaus nachvollziehen. Wenn man einen Lebenstraum hat, dann geht man dem auch nach. Außerdem trennt er da zwischen der Literatur und den Tätern.
Haben Sie eine ähnlich große Liebe?
Klar, bei mir ist es die Liebe zu meinem Beruf des Schauspielers.
Wie war es, beim Dreh die Armbinde mit dem Judenstern umzulegen?
Man bekommt ein Gefühl dafür, wie es gewesen sein muss, wenn auch natürlich nur im allergeringsten Ansatz. Wirklich reinversetzen kann man sich nicht. Dazu ist es viel zu brutal.
Haben Sie überlegt, Reich-Ranickis rollendes R zu imitieren?
Nie, es sollte ja keine Persiflage werden. Äußerlich war ich aber durchaus bereit, ihm möglichst ähnlich zu werden. Ich habe beispielsweise extra abgenommen. Ganz persönliche Gesten oder Mimiken zu übernehmen, hätte aber sicher nicht funktioniert.
Bald werden Sie Vater, legen Sie eine Drehpause ein?
Nein, es stehen neue Projekte wie „Keinohrhasen 2“ an, meine Familie nehme ich da einfach mit.
Angelika Kahl