Ein fantastischer Fälscher, fade Fahnder und die Gier nach Geld

Heute erscheint das Buch über den größten Kunstfälscherskandal der Nachkriegszeit
Christa Sigg |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Die langen Locken und der Bart erinnern an den Messias, wenngleich das Grau nicht so recht passen will. Und auch dem genialen Albrecht Dürer eifert Wolfgang Beltracchi irgendwie nach. Schließlich ist er selbst Maler. Und man hätte diesen ausgefuchsten Fälscher nicht besser erfinden können. Über 25 Jahre lang hat er die Kunstwelt zum Narren gehalten – und damit rund 16 Millionen Euro kassiert.

Im Oktober 2011 wurde dem 60-Jährigen und seinen Komplizen in gerade mal neun Tagen der Prozess gemacht. Der lächelnde Farbtuben-Apostel war geständig und kam just in der heiligen Kunststadt Köln mit lächerlichen sechs Jahren Haft im offenen Vollzug davon, die Ermittlungen wurden eingestellt.

Ein Skandal, fanden nicht nur Stefan Koldehoff und Tobias Timm. Ein Skandal, der das geradezu problemlose Einschleusen von über 80 Gemälden der klassischen Moderne in den Kunsthandel noch deutlich übertrifft. Denn zur Verhandlung kamen lediglich 14 Bilder. Die Nachforschungen zu weiteren 39 Fälschungen samt der geplanten 170 Zeugenbefragungen wurden gar nicht erst durchgeführt. Für die beiden Kunstjournalisten dringender Anlass, dieser „Spitze eines Eisbergs aus Leichtgläubigkeit, Schludrigkeit und Geldgier” auf den Grund zu gehen.

Die intensiven Recherchen hätte man sich von der Justiz gewünscht

Ihr Buch „Falsche Bilder, echtes Geld“, das heute erscheint, ist das Ergebnis intensiver Recherchen, die man sich zum Einen von der Justiz gewünscht hätte, die auf der anderen Seite aber auch den internationalen Kunsthandel mit seinen Mechanismen und schwer durchschaubaren Strukturen analysieren. Ein Markt, auf dem Milliarden umgesetzt werden, Summen, die sonst nur noch im Waffen- oder Drogenhandel zu verdienen sind. Dass da „wertvoller“ Warennachschub gefragt ist, versteht sich von selbst. Und Beltracchi, der bis zu seiner zweiten Eheschließung den eher farblosen Namen Wolfgang Fischer trug, war talentiert und erfolglos genug, um auf krumme Gedanken zu kommen.

Koldehoff und Timm gelingt ein pointiertes Porträt des Kunstschulabbrechers und Hobby-Restaurators mit dem außerordentlichen Geschäftssinn. Wie einfach ihm allerdings die Betrügerei gemacht wurde – selbst der renommierte Rubens-Experte Justus Müller Hofstede und mehr noch Werner Spies, der hoch angesehene Kenner des Œuvres von Max Ernst, versorgten ihn mit Expertisen – liest sich dann aber wie ein völlig überdrehter Krimi. Da übertrifft die Realität des Kunstmarkts noch die durchgeknalltesten Fantasmen. Das Geschäft mit verschollenen und durch Beltracchi wundersam wieder ans Tageslicht beförderten Klassikern wie Fernand Léger, Max Pechstein, Kees van Dongen oder eben Max Ernst flutschte. Dazu wurde eine hochkarätige „Sammlung Jägers” erfunden, und fertig war die Laube. Selbst wenn ein kritisches Werk wie ein vermeintlicher „Raoul Dufy” bei Sotheby’s in London als zweifelhaft abgelehnt wird, findet sich trotzdem bald ein konzilianter Handelspartner. In diesem Fall das alteingesessene Kölner Kunsthaus Lempertz.

Echtheitsprüfungen vermasseln nur das Geschäft

Bekanntlich flog der perfide Schwindel erst mit dem „Roten Bild mit Pferden” von Heinrich Campendonk auf. Eine Malteser Firma, die das Gemälde für die Rekordsumme von 2,8 Millionen Euro ersteigert hatte, investierte nochmal in eine rigorose Untersuchung. Etwas, das deutlich früher hätte erfolgen müssen. Aber kostspielig ist und eigentlich nur für unbequeme Ergebnisse sorgt. Sprich: das Geschäft vermasselt.

Dagegen dürfte kaum ein Kraut gewachsen sein. Die Autoren plädieren zwar für eine Art Ehrenkodex für den Kunsthandel: etwa dass Falsifikate durch einen Stempel auf der Rückseite kenntlich gemacht werden, der Handel ab einem bestimmten Wert zu einer naturwissenschaftlichen Untersuchung vor dem Verkauf verpflichtet wird und Gutachter mit ihren Expertisen nicht vom Verkauf profitieren dürfen. Wunderbar. Doch just ihre 274 Seiten umfassende Enthüllung liefert sämtliche Gründe, weshalb es bei den hehren Wünschen bleiben wird. Immerhin wurde die minutiöse Aufklärungsarbeit mit dem „Prix Annette Giacometti“ ausgezeichnet, weitere Lorbeeren werden sicher folgen. Aber gerne hätte man gewusst, auf welches Material sich eigentlich die beiden Meister-Ermittler beziehen. Bibliografische Angaben fehlen leider komplett.

Stefan Koldehoff, Tobias Timm: „Falsche Bilder, echtes Geld. Der Fälschungscoup des Jahrhunderts” (Galiani, 19.99 Euro)

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.