Ein Elton John der vollen Klassik
In der Antike standen Orgeln noch im Zirkus. Dann wurde das Instrument heilig, auch wenn fromme Virtuosen wie Bach, Bruckner oder Olivier Messiaen es durchaus liebten, mit brausenden Fülle ihr Publikum zu überwältigen. Mit Cameron Carpenter ist das Instrument wieder dort, wo es hergekommen ist. Und das tut gut angesichts des abschreckend feierlichen Getues, das meist um die Orgel veranstaltete wird.
Puristen sollten allerdings die Augen schließen. Der Amerikaner spielt in knallengen Jeans und weißem Hemd, dessen Schulterklappen glitzern. Natürlich gab es zum Einstand Bach, aber keinesfalls nach der reinen Lehre. Carpenter zauberte bei der Toccata Fis-Dur mit den verschiedenen Registern des Instruments wie weiland der Dirigent Leopold Stokowski in seinen glamourösen Orchestrierungen. Dazu gestattet er sich Schattierungen der Lautstärke mit dem Schwellpedal, die 100 Philharmoniker auf dem Podium nicht so wendig wie ein einzelner herausbringen würden.
Man kam mit dem Staunen kaum hinterher. Carpenter liebt den opulenten Klang mit schnarrenden Bässen, achtet dabei aber stets auf eine optimale Durchhörbarkeit des melodischen Verlaufs. Das brillante Choralvorspiel „Jesus Christus meine Freude” und eine eher frivole eigene Serenade über B-A-C-H folgten. Dann kolorierte Carpenter ein romantisches Stück von César Franck nach und beendete den ersten Teil mit Liszts Klavierstücken „Feux follets” und „La campanella”, die er mit unglaublicher Finger- und Fußfertigkeit weniger auf äußerlichen Effekt trimmte, sondern eigenwillig als schattenhafte Geistermusik verstand, was in seiner Stimmigkeit verblüffte.
Die französisch-symphonisch angehauchte Klais-Orgel der Philharmonie passt perfekt zu Carpenters Methode, musikalische Verläufe mit unterschiedlichen Klangfarben zu unterstreichen. Natürlich schießt er da manchmal übers Ziel hinaus. Aber das Tempogefühl und die musikalische Intelligenz der Vorgangsweise wirken rundum bestechend.
Nach der Pause kehrte Carpenter als Glam-Rocker in Uniformjacke zurück, um die Chaconne aus Bachs zweiter Violinpartita mit dem Finale aus Mahlers Fünfter zu einer sehr speziellen Art von „Toccata und Fuge” zu vereinen. Das funktioniert tatsächlich, weil das Hauptthema des Mahler-Satzes bestens zur Klangcharakteristik einer Orgel passt und Carpenter nicht erst versuchte, die Instrumente nachzuahmen. Der auch unter Mahlerianern weniger geschätzte Jauchzen der Natur kam jedenfalls viel stimmiger und naiver zur Geltung als in vielen Aufführungen des Originals.
Die Ansagen blieben sachbezogen und ohne Schmäh wie „Ihr seid ein wunderbares Publikum”. Als Zugabe gab’s Bach und eine „Pop Culture Paraphrase on Michael Jacksons ,Billie Jean’“. Show, Ernst und Spaß fanden an diesem Abend bestens zueinander. Das können’s halt, die Amis. Da will man nur noch, dass Carpenter schleunigst wiederkehrt.
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