Ein denkwürdiges Konzert

Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker mit Musik der letzten 60 Jahre in der Isarphilharmonie
von  Robert Braunmüller
Volles Podium: Die Berliner Philharmoniker bei ihrem Gastspiel in der Isarphilharmonie.
Volles Podium: Die Berliner Philharmoniker bei ihrem Gastspiel in der Isarphilharmonie. © Astrid Ackermann

Dieses Orchester aus lauter Virtuosen ist noch immer etwas Besonderes. Andere mögen vielleicht mit mehr Wärme spielen. Aber: Was für eine technische Brillanz! Bei den Berliner Philharmonikern sitzt wirklich jeder Einsatz. Schlussakkorde fallen nicht auseinander. Und die Dynamik ist zwischen sehr leise und einem krachenden Fortissimo von einer einmaligen Vielfalt.

Das war auch schon unter Simon Rattle so, aber Kirill Petrenko hat den Klang noch weiter verfeinert. Weil die selbstverwalteten Berliner den Gasteig nicht mögen, musste man in den letzten Jahren nach Salzburg fahren, wo das Orchester traditionell die letzten Konzerte der Sommerfestspiele bestreitet. Nun aber lockt die Isarphilharmonie - und eine Initiative der Ernst von Siemens Musikstiftung, die mit einem alljährlichen "räsonanz"-Stifterkonzert in Luzern und München zur Aufgabe gemacht hat, neuere Werke zu wiederholen und nicht nur von Uraufführung zu Uraufführung zu jagen.

Diese Idee gewinnt durch den Einsatz des wohl doch weltbesten Orchesters und seines Chefdirigenten an Reiz - und man braucht kaum hinzuzufügen, dass die 1800 Plätze der Isarphilharmonie alle besetzt waren und das Konzert mit einem Beifallsorkan endete.

Die Berliner begannen mit "Jonchaies", einem eher unbekannten Orchesterwerk von Iannis Xenakis aus dem Jahr 1977, das mit einer hoch intensiven Streicherklangfläche beginnt und dann in absichtsvoll banal-brutale Rhythmen übergeht, ehe die Energien in höchster Flöten-Lage verlöschen. Dann folgte das erst vor wenige Tagen von den Berliner Philharmonikern uraufgeführte Orchesterwerk "Lég-szín-tér" von Marton Illés. Die eher fahrig-flüchtige, sehr kleinteilige Musik ballte sich zweimal wie eine Gewitterwolke zusammen. Der dritte Satz wirkte etwas unorganisch angehängt. Umso mehr war die Sorgfalt der Berliner zu bewundern, die keine musikalische Phrase nur routiniert abliefern, sonder jede Note mit vollem Einsatz spielen.

Davon profitierte auch die "Gesangsszene" von Karl Amadeus Hartmann. Das können durchaus spröde 20 Minuten sein, die hier zum Funkeln gebracht wurden. Christian Gerhaher, der dieses Solo früher mit fast heldenbaritonaler Wucht gesungen hat, ist mittlerweile als Interpret wieder einen Schritt weiter. Er wählt anfangs einen kalt-zynischen Tonfall, der gut zu Giraudoux' Weltuntergangstext und zu seinem heller gewordenen Charakter-Timbre passt. Die Katastrophenwut des Mittelteils stellte sich ganz von selbst ein, auch der gesprochene Schluss des unvollendeten Stücks verfehlte durch seine Nüchternheit nach all der Aufgewühltheit seine Wirkung nicht.

Auf diese verdiente Rettung Hartmanns folgte noch die riesig besetzte, aber fast aphoristische Trauermusik "Stele" von György Kurtág, die bis ins letzte Detail ihrer Klangmischungen und Traditionsbezüge von Wagner bis Webern ausgelotet wurde. Es war ein denkwürdiges Konzert und eine wichtige Tat der Musikvermittlung.

Wer sich gefragt haben mag, wie man während der Wiesn in der ausgebuchten Stadt über 100 Einzelzimmer für ein Orchester auftreibt: Das geht durchaus, hört man von der mitveranstaltenden musica viva des Bayerischen Rundfunks. Man habe gute Konditionen, weil das räsonanz-Stifterkonzert über Jahre vom Voraus geplant werde. Womöglich sind einem Großhotel am Isarhochufer tatsächlich nach einem Absacker friedlich schlummernde Musiker tausendmal lieber wie angeheiterte Wiesn-Spätheimkehrer.

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