Durchs Tanzen gewachsen
Sunnyi Melles tanzt mit dem Staatsballett zum Jubiläum von Crankos „Romeo und Julia“
Ein halbes Jahr hat sie sich auf diesen einmaligen Auftritt vorbereitet. Nächsten Mittwoch tanzt Sunnyi Melles in der Jubiläumsvorstellung von „Romeo und Julia“ die Gräfin Capulet. Lucia Lacarra und Marlon Dino verkörpern das tragische Liebespaar. Ballettdirektor Ivan Liska gibt den Pater Lorenzo.
AZ: Frau Melles, ist es schwieriger, die Lady Capulet zu tanzen oder zu spielen?
SUNNYI MELLES: Im Ballett reicht es nicht, eine Figur zu sein. Ein Tänzer muss es von den Fingern bis zu den Zehenspitzen durchdringend zeigen. Dafür braucht es eine lange, harte Schulung.
Hatten Sie als Kind Ballettunterricht?
Natürlich. Aber ich war zu groß. Damals hieß es immer „Sunnyi, geh nach hinten, du verdeckst alle!“ Bei den Vorstellungen durfte ich nie einen Tutu tragen, sondern musste in Hosen männliche Rollen tanzen. Später, als ich in Shakespeares „Cymbeline“ an den Kammerspielen einen Mann spielte, habe ich mir dafür den Tänzer Rudolf Nurejew mit Suspensiorum und wallender Bluse vorgestellt.
Wie kam die Rolle der Lady Capulet zu Ihnen?
Ich gehe gerne ins Ballett. Vor einiger Zeit spielte ich fürs Fernsehen eine ehemalige Tänzerin. Dazu lieh ich beim Staatsballett ein „Schwanensee“-Kostüm aus. Nach einer Vorstellung von „Gott des Gemetzels“ kam Ivan Liska zu mir und fragte mich, ob ich in der Gala die Lady Capulet tanzen wolle. Ich war begeistert.
Wie haben Sie die Rolle einstudiert?
Der Ballettmeister Stefan Erler hat noch unter Cranko getanzt. Er hat mir nicht nur die Schritte beigebracht, sondern auch genau vermittelt, was der Choreograf wollte. Es war, als hätte ich mit Cranko selbst geprobt. Nach der Sommerpause habe ich mit Judith Turos weitergearbeitet und an den Gesten gefeilt. Sie hat früher die Julia getanzt und ist heute Ballettmeisterin.
Wie verstand Cranko die Lady Capulet?
Sie wurde von ihrer Familie verheiratet. Deshalb ist sie auch nicht gegen die arrangierte Hochzeit ihrer Tochter Julia mit dem Grafen Paris. Aber sie hat – was bei William Shakespeare nicht vorkommt – eine Affäre mit ihrem Vetter Tybalt. Romeo tötet ihn im Kampf, und die Lady trauert in einer großen Szene mit aufgerissenem Kleid und wehenden Haaren um ihn. Deshalb wollte Cranko für diese Rolle eine große erste Tänzerin mit schauspielerischem Talent.
War es schwer, sich die Schritte zu merken?
Ich habe die Musik von Sergej Prokofjew in und auswendig gelernt, um nicht immer die Takte zählen zu müssen. Dafür habe ich sie jeden Abend und jeden Morgen zu Hause und im Auto gehört und im Wohnzimmern mit meinen beiden Kindern geprobt.
Was unterscheidet eine Probebühne vom Ballettsaal?
Der Spiegel! Ich würde als Schauspielerin wahnsinnig werden, wenn ich mich darin immer kontrollieren müsste. Ich bin ihm lange ausgewichen, bis man mir sagte: An der Stelle des Spiegels ist in der Vorstellung das Publikum.
Können Sie diese Erfahrung am Theater nutzen?
Dieter Dorn dachte neulich, meine Frisur in „Gott des Gemetzels“ sei noch höher geworden. Das stimmt nicht: Ich bin durch das Tanzen gewachsen und stehe jetzt anders. Zuletzt drehte ich mit Margarethe von Trotta die Geschichte der Hildegard von Bingen. Seit langem saß ich wieder auf einem Pferd und trug eine riesige Robe. Der Tanz half mir, eine Haltung zu finden und nicht verkleidet auszusehen. Er sensibilisiert den Körper. Deshalb sollte jeder Mensch Ballettübungen machen.
Hatten Sie im letzten halben Jahr einmal genug von „Romeo und Julia“?
Nie! Meine Kinder waren allerdings ganz fertig davon. Ich habe mit ihnen Shakespeares Tragödie gelesen und war mit ihnen in Gounods Oper mit Rolando Villazón in Salzburg. Ich finde die Vielfalt wunderbar, in der sich dieser Stoff erleben lässt – ob in Tina Laniks Inszenierung am Residenz Theater ebenso wie im Film mit Leonardo DiCaprio oder in Crankos Ballett. Es ist ein Geschenk, da mitmachen zu dürfen.
Robert Braunmüller
Nationaltheater, 12. 11., 19.30 Uhr, Restkarten
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- Leonardo DiCaprio