Durcheinander der Gefühle
In seinem Programm „Küssen kann man nicht alleine” nimmt Max Raabe sein Publikum wieder mit auf eine Zeitreise in die stilvolle Vergangenheit. Damals, als Jeans noch verpönt waren, die Gesellschaft den fein aufblitzenden Humor der Zwischentöne schätzte und die Herren den Damen nicht nur beim Abgang von der Bühne galant den Vortritt zu lassen wussten.
In pure Nostalgie verfällt der 49-jährige Schellack-Bariton, der noch immer ohne Internet und Handy lebt, dabei indes nicht, denn sein aktuelles Album hat der Sänger mit der Pop-Ikone Annette Humpe kreiert.
AZ: Herr Raabe, wie erwirbt man sich auf einem westfälischen Bauernhof eine aristokratische Ausstrahlung wie die Ihrige?
MAX RAABE: Sie hätten uns mal sonntags in die Kirche gehen sehen sollen! Nur weil man auf einem Bauernhof aufwächst, heißt das ja nicht, dass alle die ganze Zeit in der Nase bohren und sich nicht zu benehmen wissen – das ist ja ein komisches Vorurteil. Meine Eltern haben immer auf Selbstverständlichkeiten geachtet: Dass man aufsteht, wenn man Leute begrüßt, dass man die Tür aufhält, dass man guckt, ob man irgendwo mit anfassen kann und erst anfängt zu essen, wenn alle etwas haben und auch den Tisch erst wieder verlässt, wenn alle aufgegessen haben oder auch, dass während des Essens keine Musik oder kein Fernseher lief. Und meine Onkels und Opas sind sonntags immer mit Krawatte und Anzug und Weste zum Mittag oder zum Nachmittagstee erschienen.
Angesichts Ihres offenbar schon früh ausgeprägten Sinns für Stil und Benimm erstaunt es ja, dass Sie seinerzeit kurz vor dem Abitur von der Schule geflogen sind…
…obwohl man eine Krawatte trägt, kann man ja ein ziemlicher Chaot sein. Ich hatte miserable Zensuren in Mathe und in Griechisch und konnte mir aussuchen, wo ich eine Nachprüfung mache – doch da ich nicht fleißig genug war und stattdessen lieber durch die Welt gereist bin, wurde ich dann des Instituts verwiesen. Die Quittung dafür ist, dass ich heute singen und im Unterhaltungsgeschäft arbeiten muss.
Während Ihrer Studentenzeit haben Sie es ja erst einmal mit Putzen und Heckeschneiden versucht, um Ihr Studium zu finanzieren.
Arbeit schändet nicht, hat meine Mutter immer gesagt – Putzen habe ich allerdings nie wirklich beherrscht. Da blieb nur Heckeschneiden und Rasenmähen, denn sonst hätte ich kellnern müssen – und das kann ich nun gar nicht.
Dabei haben Sie doch so perfekte Umgangsformen.
Seinen wahrhaftigen Charakter lernt man ja erst als Autofahrer im Berufsverkehr kennen – und da habe natürlich auch ich meine Unbeherrschtheiten. Da erweitert sich mein Vokabelschatz enorm und man merkt erst einmal, wie aufmerksam man doch dazu lernt, ohne diese Ausdrücke eigentlich in seinem aktiven Wortschatz zu wähnen.
Sie haben vor bald 26 Jahren mit Kommilitonen das Palastorchester gegründet – gab es da schon Überlegungen, diese Idee über ein Vierteljahrhundert fortzuführen?
Im Leben haben wir nicht daran gedacht! Allerdings plane ich grundsätzlich nicht weit voraus – ich könnte Ihnen heute nicht sagen, wie lange ich das noch vorhabe zu machen. Natürlich ist das Jahr 2012 in seinen groben Zügen geplant, aber das heißt nichts: Ich lebe von Konzert zu Konzert und von Probe zu Probe.
Warum hat es deutsche Musik im Rundfunk schwer?
Ich begreife es schlicht nicht: Die Italiener hören italienische, die Franzosen französischsprachige Popmusik neben englischen Titeln. Und seine Gefühle kann man viel besser in der Muttersprache ausdrücken und vermitteln – ich verstehe diese Panik der Radiomacher vor deutscher Popmusik einfach nicht.
Auf dem Album dreht sich alles um Liebe – was zeichnet denn ein gutes Liebeslied aus?
Dass das Durcheinander der Gefühlswelt auf den Punkt gebracht wird, ohne in den gängigen Klischees zu ersticken, die man normalerweise mit Liebesliedern in Verbindung bringt. Ich kann Ihnen aber kein Rezept für ein Liebeslied geben.
„Küssen kann man nicht alleine” – wen küsst denn nun eigentlich Max Raabe?
Da müssen Sie sich keine Gedanken machen – ich bin in den besten Händen.
Am 29. und 30.3., Philharmonie, jeweils 20 Uhr, Karten (49-66 Euro) unter Tel. 01805/4818181