Durchdringend traurige Gesellschaftskritik

Susanne Kennedys "They shoot horses, don't they" feierte gerade im Werkraum Premiere. Die Inszenierung aus der Sicht einer Jugendlichen
Laura Meschede |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

"Du musst einfach in Bewegung bleiben": Unter diesem Motto steht "They shoot horses, don't they", das im Werkraum der Kammerspiele gerade Premiere feierte.

München In einem bizarren Tanz versuchen die sechs Darsteller, der grausamen Wirklichkeit zu entfliehen. Sie alle sind Teilnehmer in einem Wettbewerb, der dem Gewinner 1000 Dollar einbringen soll. Die einzige Spielregel: Sie dürfen niemals aufhören, sich zu bewegen.

"Nach 300 bis 400 Stunden wird es einfacher", sagt Moderator Rocky (Thomas Schmauser). Er ist die wohl zynischste Figur in diesem Stück, das zur Zeit der großen Depression in den USA spielt, eine verdrehte Mischung aus Drogenjunkie und RTL2-Moderator.

"Hier wurde noch keine Frau verletzt, weder körperlich noch seelisch", erklärt er kurz vor dem Tod einer Teilnehmerin – und wiederholt es, bevor er eine Teilnehmerin auffordert, dem Publikum ihre Brüste zu zeigen.

Ebenso euphorisch wie sadistisch verkündet er das Schicksal der Schwangeren (Nico Holonics), welche "hier auf der Bühne, auf diesem Tanzboden, ihr Kind bekommen wird". Und zu Beginn ist er es, der erklärt: "Es ist verboten, Schmerzen oder Halluzinationen vorzutäuschen."

"They shoot horses, don't they" könnte man als Parodie bezeichnen, doch anders als eine solche ist das Stück nicht lustig, sondern erfüllt von einer durchdringenden Traurigkeit. Bitterböse nimmt es die heutige Unterhaltungsindustrie aufs Korn, in welcher der Mensch als solcher keinerlei Wert mehr zu haben scheint.

In der Menschlichkeit nur erwünscht ist, wo sie die Quoten erhöht. Und mit tiefem Sarkasmus kritisiert es den "Amerikanischen Traum", die Hoffnung jedes Einzelnen, eines Tages aus der Bedeutungslosigkeit aufzutauchen.

An den dramatischsten und abscheulichsten Stellen, wie beispielsweise der Selbstmorddrohung Glorias (Cigdem Teke), wird im Hintergrund das Lachen der Zuschauer eingespielt, welche das Leiden der Teilnehmer als gelungene Unterhaltung vor ihrem Fernseher beobachten. Hallo, Dschungelcamp!

Letztendlich ist das Stück, welches nach dem gleichnamigen Roman von Horace McCoy entstand, eine so skurrile wie melodramatische Gesellschaftskritik – und mit gutem Gewissen jetzt schon als eines der Theater-Highlights von 2011 zu bezeichnen.

 

 

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.