Durchdacht in den dionysischen Rausch
Bekannte, aber auch wildfremde Menschen drängen einem über diesen jungen Pianisten gern ein Gespräch auf. Ein Phänomen sei dieser Igor Levit. Einzelne Blätter riefen ihn schon zu „einem der großen Pianisten unseres Jahrhunderts” aus. Zum Glück sprang er nun, kurz nach seiner Klaviermatinee für Radu Lupu beim Gastspiel der Wiener Symphoniker, bei Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 ein.
Eine Gelegenheit, der Sache gelassen auf den Grund zu gehen. Schon in der rauschenden Kadenz, mit der dieses Stück beginnt, überraschte Levit mit kultiviertem Anschlag und auf Glanz polierten Trillern. Er verließ sich nicht nur auf seine Kraft, sondern leitete am Ende des kurzen, auftrumpfenden Solos auch ungewöhnlich sensibel zur Orchestereinleitung über.
Auch der Rest hielt, was der Anfang versprach: Trotz freier Tempi und eines bei jeder Wiederholung leicht verlangsamten Seitenthemas gelang es dem 1987 in Nowosibirsk geborenen und heute in Deutschland lebenden Pianisten durch ein rasches Grundtempo einen Bogen vom Anfang zum Ende zu schlagen. Levit hob die lyrischen Momente des Konzerts hervor, ohne es zu verzärteln, trat gelegentlich auch begleitend hinter die Holzbläser zurück und spielte sich im Finale in einen dionysischen Rausch hinein, den man bei diesem oft gespielten Konzert nur selten erlebt.
Der langsame Satz wirkte etwas affektiert. Aber ein so seriöser, durchdacht und klar agierender junger Pianist, der auf Flitter und Eitelkeit verzichtet, ist tatsächlich ein seltener Diamant. Seltsam, dass diese Entdeckung noch keinen Plattenvertrag in der Tasche hat.
Zur Abkühlung spielte Levit ein ganz leises Stück. Leider steckte er die mehr routiniert als inspiriert aufspielenden Wiener Symphoniker mit seiner Spielkultur nur sehr bedingt an. Unter Fabio Luisis Anleitung veranstalteten sie nach der Pause in einer ungenauen Aufführung der „Symphonie fantastique” von Hector Berlioz viel überhitzten Lärm. Bemerkenswert war nur die neulich auch von den Münchner Philharmonikern versuchte Aufstellung der Kontrabässe hinter den Bläsern. Sie bringt das tiefe Register der Streicher im heiklen Gasteig tatsächlich besser zur Geltung und kann zur Nachahmung empfohlen werden.
Levit spielt wieder am 27. 4. 2012, 19.30 Uhr, beim Aids-Konzert des Münchener Kammerorchesters, Infos unter Tel. 461364-30