Durch die Blume

Verkannt ist der große Romantiker Philipp Otto Runge – in München sollte das eine Schau in der Hypo-Kunsthalle bald ändern
Christa Sigg |
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Propere Kinder und putzige Putten, dazu rehäugelnde Elfenwesen in einem Meer von Blumen und Blättern – man muss schon tief Luft holen im Dunst des Philipp Otto Runge (1777-1810). Denn von Blütenkelchen behütete Babys und drollig drapierte Winzlingsformationen sind längst ein Fall für die Kitschfotografien einer Anne Geddes. Optisches Zuckerwerk, das reißenden Absatz findet. In der Kunst hat man dagegen seine Schwierigkeiten mit süßen Säuglingen samt märchenhafter Sujets.

Und das ist nicht die einzige Hürde im „Kosmos Runge”. Unter diesem Titel zeigt die Hypo-Kunsthalle eine grandiose Retrospektive des neben Caspar David Friedrich zweiten wichtigen Romantikers. Sie kommt aus Hamburg, wo die Kunsthalle das Gros seines Œuvres besitzt. Dort hat der Künstler gelebt. Und dort hat der große Museumsmann Alfred Lichtwark fast hundert Jahre nach dem Tod des allzu früh Verstorbenen gesammelt, was zu finden war. Er erkannte den Rang dieses sperrigen Genius’. Wieder, muss man sagen, die Zeitgenossen schätzten den kuriosen, kränklichen Maler. Verstanden ihn aber nicht. Selbst der kunstsinnige Johann Wolfgang von Goethe hatte seine liebe Not. „Zum Rasendwerden” fand der Geheimrat die „Zeiten”, „schön und toll zugleich”, „voll Anmut und Herrlichkeit”. Dass so einer nicht lange leben konnte, war für ihn klar: entweder sterben oder „verrückt werden”.

Ganz so dramatisch war’s nun auch nicht. Tatsächlich liegt aber hinter den lichtdurchfluteten Bildern, dem Ringelreihen „naiver” Motive eine bis ins Letzte ausgetüftelte Konstruktion. Man ahnt das am symmetrischen Aufbau, den Achsen und Ordnungen. Offenkundig wird es an den Zeichnungen, und Runge hatte hier seine größten Stärken. Wie auf dem Reißbrett abgezirkelte Pläne muten sie an, eine neue Kunstwelt will er schaffen von kosmischen Ausmaßen. In jedem Detail seiner Bilder steckt tieferer Sinn, der sogar nach der Rahmung als zweite, dritte Bühne greift. Das von Richard Wagner sehr viel später intendierte Gesamtkunstwerk hat Runge im Sinn. In den bürgerlichen Alltag soll es hineinspielen, mit Schwanenprospekten über einem Sofa, Spielkarten – Runge hat die Figurensymmetrie erfunden – oder Stickvorlagen. Und dann entwickelt er, parallel zu Johann Wolfgang von Goethe, auch noch eine komplexe Farbenlehre.

Allzu viel des Guten, sicher, oft mutiert dieses Wollen zum Korsett. Dann etwa, wenn es in Malerei fließen soll, ins Antlitz seiner geliebten Gattin Pauline, die fast wie die betagten Eltern und selbst die an zarten Lilien zupfenden Kinder, die zu ihnen aufblicken, eine kühle Strenge in den Zügen führt. Auch die berühmten „Hülsenbeckschen Kinder“, die wie die „Eltern des Künstlers“ oder „Der große Morgen“ zum ersten Mal Hamburg verlassen durften, haben etwas Unnahbares, Ungelenkes. Dabei war Runge die Familie alles, und besonders die Kinder, denen er einen ganz eigenen, seriösen Platz in der Kunst zuweist.  Sei es in Porträts, sei es in den großen, ideengeladenen und tiefromantischen Zyklen wie etwa „Morgen” und „Abend”, „Tag” und „Nacht”.

Erst kurz vor seinem Tuberkulosetod gelangt er zu einer atemberaubenden Freiheit, wenn er seine Leidensgenossin Sophia Sieveking auf dem Sterbebett zeichnet und ganz nah bei den schmerzverzerrten Leibern Egon Schieles ist. Kaum auszumalen, wohin das hätte führen können.

Ausstellung bis 4. September, Katalog 29 Euro (Hirmer); ein Film über Runge läuft ab Sonntag im Isabella-Kino

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