Durch dick und dünn

Auf der Berlinale wird mit Doris Dörrie gelacht und geweint, aber Jo Baiers Historienepos fällt komplett durch. Im Wettbewerb überzeugt Benjamin Heisenberg mit der intensiven „Räuber“-Geschichte
von  Abendzeitung

Auf der Berlinale wird mit Doris Dörrie gelacht und geweint, aber Jo Baiers Historienepos fällt komplett durch. Im Wettbewerb überzeugt Benjamin Heisenberg mit der intensiven „Räuber“-Geschichte

Triumph und Niederlage des deutschen Films liegen nur wenige Kinosäle auseinander. Doris Dörries „Die Friseuse“ wirft einen so zwischen Rührung und Verzweiflung, Witz und Tragik hin und her, dass es die Zuschauer nicht ruhig ließ. Eine dicke Berlinerin (Gabriela Maria Schmeide mit Schaumstoff unter den schrillen Kostümen) ist Heldin des Alltags und unserer Herzen. Nach der bejubelten Berlinale-Premiere ist der Film ab übermorgen in deutschen Kinos zu sehen.

Wie man dagegen mit einem üppigen 20-Millionen- Euro-Etat scheitern kann, musste Regisseur Jo Baier erleben. „Drecksfilm“-Rufe und Buhs ließen sogar die deutschen Stars wie Hannelore Hoger und Ulrich Noethen auf der Premierenbühne im Friedrichsstadtpalast verstummen. Sandra Hüller und Joachim Król waren gar nicht erst zu diesem Berlinale-Special erschienen. Das 155 Minuten lange, von deutschen und zahlreichen europäischen Partnern produzierte Historienepos „Henri 4“ ist ein vergeblicher Kraftakt. Die vielen Handlungsstränge um die Glaubenskriege im Frankreich des 16. Jahrhunderts mit dem toleranten Henri von Navarra wollen sich nicht dramaturgisch zum Ganzen fügen. Die dröhnenden Schlachtenszenen wirken endlos, das höfische Personal und die Sex-Szenen unfreiwillig komisch. Und die blutige „Bartholomäusnacht“ hat Chéreau schon viel eindringlicher bebildert.

Deutsche Ehrenrettung

Aber es gab zur Ehrenrettung auch noch den ersten von drei deutschen Filmen im Wettbewerb: „Der Räuber“ von Benjamin Heisenberg. Der Absolvent der HFF-München erzählt nach dem Roman von Martin Prinz die Geschichte eines österreichischen Bankräubers und Marathonläufers, der mit Ronald-Reagan-Maske und Pumpgun zwischen 1985 und 1988 serienweise Banken überfiel und zuletzt die größte Polizeiaktion der Nachkriegszeit in Wien auslöste. Im Film heißt er Johann Rettenberger, und Andreas Lust hätte einen Darsteller-Bären verdient für seine physische Sportler-Leistung und die subtile Studie eines Mannes, der seinem Seelengefängnis nur per höchstem Adrenalinkick entkommt. „Ich bin schon tot“, sagt er einmal zu seiner Freundin, die ihn nach längerer Haftzeit wieder aufnimmt. Auf Psychologisierung hat Heisenberg klug verzichtet. Die Motivation des Räubers wird gar nicht, auch nicht mit einer miesen Kindheit erklärt. Der Rhythmus des Films reißt mit. Laufen, Bewegung, Action und plötzlicher Stillstand. Die Kamera schwenkt über Stadt- und Waldansichten, von freiem Himmel in enge Zellen. Die Schauspieler, der Soundtrack, die Dialoge – ein klasse Film.

Paranoid Pictures

Der Wettbewerb in Berlin kann sogar lustig sein: Die ersten Lacher kommen schon, als das Signet von Paramount Pictures als Paranoid Pictures erscheint. Dann folgen die amüsantesten 87 Filmminuten der Berlinale. „Exit Through The Gift Shop“ heißt das Doku-Feature des britischen Graffitikünstlers Banksy, der dem ausgerechnet zum 60. Jubiläum bislang schwächsten Bären-Wettbewerb ein überraschendes Highlight beschert. Banksys Verfremdungsobjekte und Sprühwerke kommentieren unsere politische Realität mit absurdem Humor. Jahrelang hat der durchgeknallte Hobbyfilmer Thierry Guetta, ein Franzose, der in Los Angeles reich wurde, indem er Klamotten als Designerware verkaufte, Banksy verfolgt, um eine Doku über ihn zu machen. Aber Banksy drehte den Spieß um und machte seinen lästigen Fan zum „Star“ seiner Doku, ermutigte ihn, es doch selbst als Künstler zu versuchen. Heute verdient Guetta Millionen mit dreisten Imitationen. „Andy Warhol ist tot“, sagt er stolzgeschwellt vor seinen Kopien. „Aber ich bin da.“

Zhang Yimou floppt

Fast tragisch ist das Scheitern des chinesischen Regisseurs Zhang Yimou (Goldener Bär für „Rotes Kornfeld“, 1987) mit seiner Eastern-Western-Farce „A Woman, A Gun And A Noodle Shop“, zu der ihn „Blood Simple“ der Coen-Brüder inspirierte. Die Klamotte um Gier und Eifersucht mit unelegant entsorgten Leichen hat den Charme eines Kasperltheaters vor naiven Kulissen. Zhang Yimou verwendet Computersimulationen, zitiert Filmklassiker diverser Genres und lässt viel zu selten makabren Humor aufblitzen. Ein Wettbewerbsflop.

Auch die Independent-Komödie „Greenberg“ mit Ben Stiller von Regisseur Noah Baumbach wäre in einer Nebenreihe besser aufgehoben gewesen. Baumbach hat Talent für Witz, aber der sympathische Film wird im Festivalalltag nicht lange im Gedächtnis bleiben.

Angie Dullinger

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