Dürers Striptease

„Drunter und drüber” geht’s in der vierten Ausstellung zum 175. Bestehen der Alten Pinakothek – und man sieht mehr als je zuvor
von  Christa Sigg

Ein eitler Beau muss er gewesen sein. Die Weiberleut’ im mittelalterlichen Nürnberg werden ihm manchen sehnsuchtsvollen Blick nachgeworfen haben. Doch das alles ist nichts gegen dieses sagenhafte Selbstbewusstsein, mit dem sich der 28-jährige Albrecht Dürer präsentiert. Im noblen Pelzrock, den nur die Stadtoberen tragen durften. Vor allem aber frontal, wie es dem Imago Jesus Christus, dem Antlitz des Gottessohnes vorbehalten war. Und einer Handvoll Könige.

Ganz schön dreist war das um 1500, was diesen kühnen Anspruch allerdings erst recht unterstreicht, ist mit dem bloßen Auge gar nicht zu sehen. Denn schon die Unterzeichnung, die jetzt neben dem Originalgemälde quasi ans Licht darf, zeigt deutlich, dass selbst das winzigste Strichlein wohl gesetzt ist, dieser Auftritt bis in die gezwirbelten Bartspitzen festgelegt war. Damit, auch das ist in der Alten Pinakothek schön zu verfolgen, nimmt Dürer im Kreise seiner Kollegen eine echte Ausnahmestellung ein.

Acht berühmten Gemälden ging's unter die Haut

Acht prominente Gemälde der Sammlung mussten für die Ausstellung „Drunter und drüber“ strippen, sprich: Die Infrarotkamera der weltweit gefragten Spezialisten des Doerner Instituts ging den guten alten Schinken unter ihre Haut. Damit kommt zu Vorschein, was zuletzt nur der Künstler sah, und man erhält mit detektivischer Genauigkeit Einblick in den Schaffensprozess eines Cranach, Altdorfer, Baldung Grien.

Wie dieses Monstrum von „Alexanderschlacht“ überhaupt zu stemmen war, hat man sich sowieso immer gefragt. Und sieht nun im direkten Vergleich, dass Albrecht Altdorfer jedes Kriegerlein, jede Fahne, jede noch so feine Hellebarde exakt vorgezeichnet hat. Nur der Himmel blieb im Ungefähren, aber der lebt von den Farben. Stimmig wirkt das allemal – was man von seiner „Susanna im Bade“ nicht gerade sagen kann: Beim Bau des Palasts kämpft sogar der große Altdorfer mit der vertrackten Perspektive.

Die Korrekturen zeigen: Cranach war auf der Suche

Auch bei Lucas Cranach zeigt sich, was dem geschäftstüchtigen Vielmaler wichtig war. Denn da legte der Werkstattboss mit großer Wahrscheinlichkeit selbst Hand an. Den jungen Cranach, der sich seine Position erst erkämpfen musste, lernt man hingegen mit der frühen „Kreuzigung Jesus Christus“ von 1503 kennen. Das Korrigieren von Blickachsen und Gebärden zeigt hier, dass der Maler genauso beim Inhalt, der Aussage, noch auf der Suche war.

Keiner hat sich jedoch so verkünstelt wie Dürer beim Selbstporträt. Auch die nach dem Säureanschlag endlich wieder ausgestellte Schmerzensmutter ist in der Unterzeichnung vergleichsweise leger. Und wäre dieses subtil gestrichelte Infrarot-Konterfei, das mehr als die Ölversion von Dürers Ego preisgibt, tatsächlich greifbar, es würde auf dem Kunstmarkt die aberwitzigsten Summen einbringen.

Bis 18. September in der Alten Pinakothek, Barerstraße 27, geöffnet Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18, dienstags bis 20 Uhr

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