Droht der Kulturinfarkt?

Vier Autoren provozieren im aktuellen „Spiegel” und in einem neuen Sachbuch mit radikalen Kürzungsvorschlägen im Kulturbereich. Sie fordern eine Halbierung aller Subventionen
Robert Braunmüller, Volker Isfort |
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Vier Experten provozieren im aktuellen „Spiegel” und in einem neuen Sachbuch mit radikalen Kürzungsvorschlägen im Kulturbereich. Sie fordern eine Halbierung aller Subventionen

Wer sich derzeit im Internet englischsprachige Bücher oder Noten bestellt, bekommt einen Vorgeschmack dessen, was die vier Autoren befürworten. Der Markt gebrauchter Bücher in England und den USA wird derzeit vom Ausschuss gesund- oder kaputtgeschrumpfter Bibliotheken in den USA und England überschwemmt.

Eine solche Rosskur wollen Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel und Stefan Opitz auch hierzulande verordnen. „Was wäre, wenn die Hälfte der Theater und Museen verschwände, einige Archive zusammengelegt und Konzertbühnen privatisiert würden?” fragen sie. „3200 statt 6300 Museen in Deutschland, 70 staatliche und städtische Bühnen statt 140, 4000 Bibliotheken statt 8200 – wäre das die Apokalypse?”

Die Antwort der Experten: Nein. Die Kürzung aller Kultursubventionen um 50 Prozent könnte als Befreiungsschlag wirken. Denn ihrer Ansicht nach befindet sich die Kulturpolitik im Zustand einer Lähmung, weil sie mit schrumpfenden Haushalten eine wachsende Zahl von Einrichtungen erhalten müsse. Gescheitert sei die aus den 1970er Jahren stammende Forderung „Kultur für alle”: Noch immer seien es höchstens fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung, die sich für das Hochkulturangebot interessierten.

Doch der Kulturbetrieb verteidige seine Privilegien unter allen Umständen. Jede kulturelle Kraft strebe nach Institutionalisierung, jeder Kulturmanager nach dem Beamtenstatus. Der nötige Rückbau des Subventionssystems werde deshalb nicht angegangen: „Politiker eröffnen lieber ein neues Museum oder gründen ein weiteres Festival, als nach dem Sinn der Veranstaltung zu fragen.”

Die Analyse von Verkrustungen dieser Polemik ist zutreffend. Sie entlarvt auch einige typische Lebenslügen des Kulturbetriebs. Doch die neoliberale, an der puren Nachfrage orientierte Amerikanisierung mit dem Rasenmäher wäre eine Ohrfeige für alle Museen und Theater, die sich schon heute um ein wirtschaftliches Denken und eine schlanke Organisation bemühen.

Wenig überzeugend scheint auch die von den Autoren vorgeschlagene Fünftelung der verbleibenden Subventionen. Einige kulturelle Leuchttürme sollen besser ausgestattet, die Laienkultur verstärkt gefördert werden. Ein weiteres Fünftel soll in die „gegenwartsbezogene kulturbezogene kulturelle Bildung” mit Schwerpunkt Weltkultur fließen.

All das riecht vor allem nach einer Vervielfachung von Gremien. Bei den restlichen Fünfteln denken die Autoren an sich selbst: Sie fordern eine bessere Ausstattung der Kunsthochschulen, die zu „Produktionszentren” ausgebaut werden sollen. In diesem kuscheligen Umfeld, und nicht etwa in der kalten Wirtschaft, wirken drei der Experten. Und das letzte Fünftel soll in wolkige „Kulturparks” und das „Business-Coaching von Start-Ups” fördern. Denn einer der Professoren hat auch noch nebenbei viel Zeit für seine Beratungsfirma.

Dieter Haselbach u.a.: „Der Kulturinfarkt”. Eine Polemik (Knaus, 288 Seiten, 19.99 Euro)

Kultur für alle – und mit allen

Herr Küppers, die Autoren des Buches und „Spiegel“-Artikels behaupten, die öffentlichen Kulturetats seien zu hoch, man käme auch mit der Hälfte aus.

HANS-GEORG KÜPPERS: Das scheint mir doch eine völlig unnötige Polemik zu sein, geschrieben von vier selbstgefälligen Herren, die in ihrem ganzen Leben kaum praktische Kulturarbeit geleistet haben.

Konkret: Brauchen wir in München 23 Stadtteilbibliotheken, oder geht es auch mit 12?

Wir hatten im vergangenen Jahr 4,5 Millionen Besucher und über 13 Millionen Ausleihen, gerade weil es die meisten Münchner nicht weit haben bis zur nächsten Bibliothek. Das ist die Kultur, die sie quasi um die Ecke wahrnehmen können. Ähnliches ließe sich zu den Stadtteilkulturzentren sagen. So ein Netz auszudünnen, hieße, den Verlust von kultureller Identifikation ganz stark zu beschleunigen.

Der Deutsche Kulturrat hat gesagt, mit dem Kulturbudget ließe sich ein Haushalt ohnehin nicht sanieren.

Dem stimme ich zu. In München macht die Kultur rund 4 Prozent des städtischen Haushalts aus. Gleichwohl leben wir in Zeiten von Schulden- und Finanzkrisen, auch die Kulturwelt muss da solidarisch sein. Wir können nicht einfach sagen: Bei uns darf sich nichts ändern. Das heißt, wir müssen vorhandene Mittel äußerst gezielt einsetzen.

Was ist Ihnen eigentlich wichtiger: das Theater mit bundesweiter Strahlkraft oder die Performance im Hinterhoftheater?

Ich spiele nie das eine gegen das andere aus, wir brauchen unbedingt beides, um urbane Kultur zu formen.

Die Autoren behaupten, 90 Prozent der Bevölkerung nähmen aber ohnehin nicht an der Kultur teil.

Ich halte die Zahl auf München bezogen für völlig unsinnig. Die alte Forderung von Hilmar Hoffmann „Kultur für alle!“ ist noch genauso zeitgemäß wie damals. Ich würde nur ergänzen: für alle und mit allen.

Nehmen Sie einen Gedanken aus dem Buch mit?

Ja, aber dieser Gedanke ist schon 30 Jahre alt und eine Plattitüde: Kunst entsteht nicht durch Kulturpolitik. Selbstverständlich nicht. Kunst entsteht durch Künstler. Kulturpolitik heißt nichts anderes, als den Rahmen zu schaffen, in dem Künstler wirken können.

 

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