Dreißig Gänge Underground
Blixa Bargeld, der schon mit Alfred Biolek kochte, überrascht in seinem Tour-Buch als Gourmet
Für alle, die immer schon geahnt haben, dass eine Tour der Einstürzenden Neubauten anders abläuft als der übliche Rock-Zirkus, ist dieser Text die Bestätigung. „Europa kreuzweise. Eine Litanei“, heißt das im Residenz Verlag erschienene Bändchen. Auch wenn der Titel die schlimmste Textmaschine befürchten lässt, nimmt uns Sänger Blixa Bargeld mit auf eine etwas über 100 Seiten rasante Reise, deren Modus Operandi ein Paradox ist. Die Wiederkehr des Immergleichen, bei gleichzeitigem Aufrechterhalten einer beängstigenden Reisegeschwindigkeit.
Überall dieselben Fragen. „What’s the name of the band?“, „What kind of music?“ Die Antwort bandintern genormt: „Boy/Pop“. Der Bandbus hat Tücken. Die Lesebeleuchtung ist unzureichend: „Wir haben das sofort bei der Busfirma moniert, sie waren etwas erstaunt.“ Bücher sind sonst nicht so des Rockers Ding. In Italien lärmt vor Blixas Zimmer die ganze Nacht ein Typ, der wohl ein Mofa starten will. Am nächsten Morgen ist der Industrie-Sound-Avantgardist verblüfft, dass man vor seinem Fenster nächtens eine Landwirtschaftsausstellung aufgebaut hat: „Traktoren nach Größe und Hersteller geordnet nebeneinander in Reihen geparkt.“
Neu schmecken
Zwischen Bandbus, Soundcheck, Auftritt, Hotel, Flieger nutzt Blixa seine Zeit prima. Immer auf der Suche nach Feinschmeckerrestaurants. In München schaut er umgehend im Tantris auf einen Mundvoll vorbei. Das Konzert – nicht weiter erwähnenswert. Wie bei fast allen Auftritten liefert er nur Ort und Setlist. Joballtag. In Köln bekommt er einen Kaugummi an den Kopf. Frechheit.
Auch das Essen in all seinen edlen Variationen verleitet den Sänger seltenst zu Poesie, er ist unterwegs um zu protokollieren, was es auch sei: „Die Reste meines Desserts (Schokoladensauce) geben folgendes Bild: Ein Mann fickt einen Scheiterhaufen.“
In Spanien wird es kurz hektisch euphorisch. Man hat über Beziehungen einen Tisch in Ferran Adriàs Lokal „El Bulli“ reserviert. 30 Gänge Molekularküche: „Alles ist neu, neu gedacht, Zurückerfunden. Neu schmecken, neu denken.“ In all diesem zeit- und ortlosen Wirbel, dessen Stationen irgendwann für Autor und Leser gar nicht mehr nachzuvollziehen sind, wird einem Blixa als hochpreisiger Esskulturreisender auf schrullige Weise sympathisch. Der Künstler hält hier so angenehm die Klappe – er kaut ja gerade.
Christian Jooß
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