Drehen im Knast: Tatort Stadelheim

Ein Geiselnehmer und ein Toter hinter Gittern: Zum ersten Mal ermitteln die TV-Kommissare Batic und Leitmayr in der Justizvollzugsanstalt. Die AZ hat sie am Set besucht.
von  Abendzeitung

Ein Geiselnehmer und ein Toter hinter Gittern: Zum ersten Mal ermitteln die TV-Kommissare Batic und Leitmayr in der Justizvollzugsanstalt. Die AZ hat sie am Set besucht.

Bullen raus!“, brüllen die Insassen von ihren Zellen aus in den Gefängnishof. GSG9-Beamte und Polizisten in Uniform rasen an den grauen Betonbauten der Justizvollzugsanstalt Stadelheim vorbei auf einen Wohntrakt zu. Mittendrin: die Schauspieler Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl. Die beiden drehen in dem Münchner Gefängnis ihren neuesten „Tatort“. Die Polizisten sind Statisten. Die Gefangenen sind echt. Die Beleidigungen auch.

„Ich fand’s ganz gut, dass da Gitter waren“, erzählt Wachtveitl am Set. Fünf Drehtage sind für den Krimi „Die Heilige“ (Arbeitstitel) vor echter Kulisse veranschlagt. Dass der BR überhaupt in Stadelheim drehen kann, ist eine kleine Sensation. Bislang durften nur Dokumentarfilmer hinter die Gefängnismauern. Der Trakt, in dem die TV-Kommissare ermitteln, wird zur Zeit aber renoviert und ist stillgelegt. Deshalb machte JVA-Leiter Michael Stumpf eine Ausnahme. „Amtshilfe“ nennt er das.

Obwohl die 250 echten Insassen auf andere Wohnblocks und bayerische Justizvollzugsanstalten verteilt sind, geht es in dem Gebäude nun hoch her. Aufruhr herrscht im Krimi auf den Fluren von St. Adelheim, wie das Gefängnis dort und im Volksmund heißt. Der Gefangene Nic Schuster will raus, hält einem Mithäftling einen Schraubenzieher an die Kehle. Batic und Leitmayr sollen ihm helfen, fordert er. Denn schließlich haben sie ihn damals hinter Gitter gebracht. „Mit den Polizeipsychologen will Schuster nicht verhandeln“, erklärt Miroslav Nemec. „Zum Glück, denn das gibt uns die Möglichkeit, dass wir im Krimi überhaupt vorkommen.“

„Am Abend ist man wirklich froh, wieder draußen zu sein“

Und wenig später haben die Kommissare dann auch noch einen echten Mordfall: Schuster ist tot und sein Zellengenosse, der Algerier Hassan Adub, verschwunden. Batic und Leitmayr stehen vor einem Rätsel: Wie konnte Adub entkommen, das Gefängnis gilt doch als ausbruchsicher?

Es sei ein beklemmendes Gefühl, wenn man sieht, wie eng und klein die Zellen sind, sagt Nemec. Auf jeder Seite des langen, niedrigen Gangs reiht sich eine Tür an die andere. Dahinter liegen winzige, acht Quadratmeter kleine Zellen, ausgestattet mit Holzpritsche, quadratischem Tisch und einem Schrank. Das schmale Fenster ist vergittert. Waschbecken und Toilette im Eck sind abgetrennt.

„Wir sind überbelegt, wie alle anderen bayerischen Gefängnisse auch“, sagt Anstaltsleiter Stumpf. 1350 Häftlinge, darunter 150 Frauen, sind derzeit in Stadelheim untergebracht – aufgrund der aktuellen Baumaßnahmen. Normalerweise sind es 1700 auf dem 14 Hektar großen Gelände, das nur für 1450 Insassen ausgelegt ist. Zwei Drittel sind Untersuchungshäftlinge, einer der prominentesten derzeit: der mutmaßliche Kriegsverbrecher John Demjanjuk.

Direkt in Kontakt kommen Schauspieler und Crew während der Dreharbeiten aber mit keinem der Gefangenen – das ist strikt verboten. Die Filmaufnahmen finden größtenteils an Wochenenden statt, dann sind die Werkhallen geschlossen und es herrscht weniger Betrieb auf dem Gelände. Auch der Sport im Außenbereich ist abgesagt, denn jeder, der ans Set will, muss den Gefängnishof mit dem angrenzenden Sportplatz überqueren.

Jedes Crew-Mitglied, jeder Schauspieler und Statist muss namentlich mindestens einen Tag im Voraus angemeldet sein. Bevor sich das stählerne grüne Südtor an der Stettnerstraße für sie öffnete, mussten auch Nemec und Wachtveitl eine Erklärung unterschreiben, keine Waffen oder Drogen in den Knast zu schmuggeln. Ausweis und Handy bleiben an der Pforte, kein Gefangener soll es ihnen im Ernstfall abnehmen können. „Vieles ist drinnen nicht mehr möglich, was draußen selbstverständlich ist“, sagt Nemec. Schnell mal zu Hause Bescheid geben, dass es später wird, geht dann einfach nicht. „Am Abend ist man wirklich froh, wieder draußen zu sein“, sagt der Schauspieler. „Freiheit bekommt da eine ganz neue Dimension.“

Kurz vor Weihnachten wird der Knast-Krimi im Fernsehen gezeigt

Gerade dreht das Team um Regisseur Jobst Oetzmann die Flucht des Häftlings Adub: Eine Szene, die Anstaltsleiter Stumpf überhaupt nicht gefällt. Medhi Nebbou spielt den Ausbrecher und klettert in eine Kiste mit Papierfetzen, bevor sie auf einen Laster verladen wird. Gedreht wird in und vor einer Werkstatt, in der Gefangene normalerweise Fahrräder reparieren – im Auftrag einer Münchner Firma. Links und rechts flankieren zwei Männer in Uniform den Lkw, der mit dem Funkgerät in der Hand ist echt. Der Justizvollzugsbeamte Hermann Wals passt auf, dass nichts passiert, was nicht im Drehbuch steht. „Zwei dumme Zufälle und wir haben die Flucht in der Realität“, sagt er.

Auf gar keinen Fall darf sich ein echter Gefangener unter die Schauspieler und Statisten mischen. Denn die haben die blaue Original-Anstaltskleidung an und sind von einem echten Insassen so nicht mehr zu unterscheiden. Es habe schon Verwirrung gegeben, erzählt Oliver Berben, der den Stadelheim-Tatort produziert. „Justizvollzugsbeamte wussten nicht mehr: sind die Gefangenen nun echt?“

Den letzten Ausbruch habe es 1986 gegeben, beruhigt Stumpf. „Jedes Fahrzeug, das rein- oder rausfährt, stellt zwar ein Sicherheitsrisiko dar.“ Allerdings habe man alle Schlupflöcher geschlossen. „Wir kontrollieren die Fahrzeuge mit Herzschlagdetektoren“, sagt Wals. „Mit denen würden wir selbst eine kleine Katze finden.“ Zusätzlich wird alles Material, das das Gelände verlässt, eine Nacht lang eingelagert. „So weiß man, dass jeder Gefangene noch da ist, wenn es das Gefängnis am Morgen verlässt.“

Verlassen die TV-Kommissare am Abend das Gelände, wird mit Spiegeln auch der Fahrzeugboden ihres Autos kontrolliert, erzählt Nemec. Allerdings habe so ein Dreh im Knast auch handfeste Vorteile, ergänzt Wachtveitl. „Hier herrscht eine kontrollierte Umgebung, die man sich beim Filmen wünscht“, sagt er. „Da gibt es keinen Nachbarn, der mal eben in der Wohnung nebenan zum Bohren anfängt.“

Oliver Berben, der auch schon den Oktoberfest-Tatort „A gmahde Wiesn“ produziert hat, ist stolz, Stadelheim als „dritten Hauptdarsteller“ gewonnen zu haben. Das Gefängnis, das seit 1894 besteht, ist nicht nur eines der größten in Deutschland, es hat auch eine bewegte Geschichte. Adolf Hitler saß hier 1922 wegen Landfriedensbruch ein. 1943 wurden Hans und Sophie Scholl, Mitglieder der Widerstandsgruppe „Die weiße Rose“, auf dem Gelände hingerichtet. „Auch in unserem Film kommt die bewegte Geschichte von Stadelheim vor“, sagt Wachtveitl. „Man ist sich bewusst, dass man hier ein Denkmal betritt.“

Anstaltsleiter Stumpf freut sich nun auf den 19. Dezember. Denn kurz vor Weihnachten will das Erste den Stadelheim-„Tatort“ zeigen. Und Stumpf prophezeit dem Krimi schon jetzt eine Super-Quote: „Denn eines ist sicher, ganz Stadelheim schaltet ein.“

Angelika Kahl

Münchner Mord-Orte

Stadelheim ist nicht die erste berühmte Münchner Kulisse, in der die TV-Kommissare Batic und Leitmayr ermitteln:

1993 wird in „Ein Sommernachtstraum“ ein junger Satanist ermordet – direkt am Ufer des Kleinhesseloher Sees im Englischen Garten. Dort haben die „Jünger Luzifers“ im Film ihr Lager aufgeschlagen.

Drama am Nockherberg: Gerade saß Carlo Menzinger (Michael Fitz) noch beim Starkbier-Anstich, der im Film von der „Benedictus-Brauerei“ ausgerichtet wird, da liegt ein Teilhaber des Bier-Imperiums schon leblos in seinem Wagen. „Starkbier“ heißt die Nockherberg-Folge von 1999.

Die dunkle Vergangenheit von drei Standlbesitzern beschäftigt die Ermittler 2000 in „Viktualienmarkt“.

In „Außer Gefecht“ von 2006 lauern Batic und Leitmayr einem ehemaligen Krankenpfleger auf – undercover, als Kellner im Olympiaturm-Drehrestaurant.

Ein toter Stadtrat und intrigante Wirte halten die Kommissare 2007 in „A gmahde Wiesn“ auf Trab.

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