Douglas ohne Kirk und Michael

Hier hatte Filmkunst ihren stilvollen Rahmen: Das Tivoli Theater muss im Januar nach 56 Jahren zusperren. Die Mietpreise in der Münchner Fußgängerzone sind einfach zu hoch
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Hier hatte Filmkunst ihren stilvollen Rahmen: Das Tivoli Theater muss im Januar nach 56 Jahren zusperren. Die Mietpreise in der Münchner Fußgängerzone sind einfach zu hoch

München verliert weiter sein Gesicht: Am 16. Januar schließt das Tivoli Theater in der Neuhauser Straße. Am 11. November 1954 ist es mit Disneys „Die Wüste lebt“ eröffnet worden. Hans Georg Atzenbeck war der Architekt, der schon die Theatiner Filmkunst entworfen und das Kino am Sendlinger Tor nach 1945 renoviert hatte.

Jetzt soll die Parfümeriekette Douglas hier einen so genannt „Flagstore“ eröffnen, eine kleinere Filiale ist bereits im Haus, sieben insgesamt in der Münchner Altstadt. Damit gleicht sich die Fußgängerzone zwischen Marienplatz und Stachus weiter dem globalen Einheits-Angebot der Allerweltsstädte an.

Ein Traumland der Kinosehnsucht

Eigentlich schien das Kino-Sterben – nach dem Mathäser-Knall 2003 mit 4200 neuen Sitzplätzen – in München gestoppt: Die letzte Schließung war 2006 das Marmorhaus in der Leopoldstraße. „Wirtschaftliche Gründe“ hätten eine Fortführung des Tivoli unmöglich gemacht, sagt die Preßmar GmbH, hinter der sich in der dritten Generation die Familie verbirgt, die auch das Sendlinger Tor betreibt. In den goldenen Zeiten des Kinos war das Tivoli-Theater oft die Bühne für außergewöhnlicher Filme und ihre Darsteller.

So waren Schauspieler wie Hans Albers, Ruth Leuwerik, Theo Lingen oder Giulietta Masina da, die den 75.000 „La Strada“-Besucher begrüßte. Karlheinz Böhm, Liesl Karlstadt, Marika Rökk, Carl Wery, Marianne Koch, Gert Fröbe kamen, wenn ihre Filme hier anliefen. Heinz Rühmann, Tony Curtis waren Gäste wie auch Romy Schneider, die mit ihren Filmen fast eine halbe Million Zuschauer ins Tivoli zog. Regisseure wie Vittorio de Sica, Bernhard Wicki, Roman Polanski stellten ihre Filme im Tivoli vor. 1961 besuchte das griechische Königspaar, Friederike und Paul von Griechenland, das Tivoli anlässlich der Premiere von „Traumland der Sehnsucht“.

Ein Traumland der Kinosehnsucht war das Tivoli selbst: Hier gibt es den Platzanweiser, Messingtreppengeländer, eine geschwungene Verkaufstheke, sogar einen plätschernden Puttenbrunnen im Foyer und ein neoexpressionistisches Glas-Mosaik, das die Neuhauser Straße zeigt – mit dem Kino. Jahrzehnte war das Tivoli ein besonders erfolgreiches Kunstkino, nicht nur im deutschen, sogar im europäischen Vergleich: So erreichte der Eröffnungs-Dokumentarfilm „Die Wüste lebt“ in einer Laufzeit von 19 Wochen hier die heute unglaubliche Besucherzahl von 156598.

1989 sahen 137000 Besucher, wie Meg Ryan Billy Chrystal einen Orgasmus vortäuschte. So erreichte „Harry und Sally“ 8,5 Prozent aller bundesdeutschen Zuschauer dieses Films in einem einzigen Kino, dem Tivoli Theater.

Eine Viertelmillion Menschen sahen hier "Amadeus"

Und weil die Kino-Besitzer Familie Preßmar eine weitere Kinotradition pflegt, die Plakatmalerei, können sich viele Münchner erinnern, wie der schwarze Mann mit der weißen venezianischen Karnevalsmaske von der Hausfassade in dieses Kino lud: „Amadeus“ von Milos Forman lief hier 64 Wochen lang und lockte Ende 1984 bis Anfang 1986 knapp eine Viertelmillion in den 50er-Jahre-Kinosaal.

310 Euro werden mittlerweile in der Fußgängerzone pro Quadratmeter Miete gezahlt. Das kann ein Kino natürlich nicht einspielen. Jetzt wurde diesem wirtschaftlichen Rendite-Druck nachgegeben.

Adrian Prechtel

Zur Zeit läuft im Tivoli, Neuhauser Straße 3, „The Tourist“ mit Angelina Jolie und Johnny Depp, 16, 18.15 und 20.30 Uhr

Der Kommentar: Mehr Stil wagen

Auf wen ist eigentlich als Kinogänger noch Verlass? Fragt man Studenten, wohin sie ins Kino gehen, kennen sie das Tivoli, Theatiner, Filmcasino oft gar nicht, manchmal nicht einmal das Arri, das immerhin in Uninähe in der Maxvorstadt liegt. Hingegen ist das Multiplex-Mathäser mit 14 Leinwänden und 4200 Plätzen sogar bei jungen anspruchsvolleren Kinogängern beliebt. Massengeschmack und Herdentrieb! Was unverständlich ist: Denn geht es um Bars oder Kneipen, gibt man sich ja auch möglichst cool und individuell: im Café Jasmin zum Beispiel – einem lupenreinen 50er-Jahre-Relikt in der Augustenstraße. Aber warum setzt man beim Kinoabend ästhetisch auf Fast-Food, wenn man auch wunderbares Nostalgie-Ambiente bei gleichzeitig modernem Technik-Komfort haben könnte? Stil kann man auch beim Kinokartenkauf beweisen. Und einige der schönen alten Kinos haben sogar noch Logenplätze!

Adrian Prechtel

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