Doppelstrich statt Linie
Passt der Jahrhundertroman „Buddenbrooks“ ins Kino-Format? Der Thomas-Mann-Experte Dirk Heisserer hat sich den Film kritisch angesehen.
Regisseur Heinrich Breloer, von dem schon „Die Manns – Ein Jahrhundertroman“ stammt, hat die „Buddenbrooks“ mit Armin Mueller-Stahl, Iris Berben, Jessica Schwarz und August Diehl neu verfilmt (ab Donnerstag im Kino). Der Literaturwissenschaftler und Vorsitzende des „Thomas Mann Förderkreises“ in München, Dirk Heißerer, hat für uns die Verfilmung nach ihrer Werktreue abgeklopft. Sein Urteil lesen Sie hier:
Die Kino-Adaption setzt mehr auf die wichtigen Romanfiguren als auf den bei Thomas Mann in beinahe jedem Wort knisternden Verfall einer Familie. Die Handlung ist, wie bei einem Bänkelsang, auf große Bilder reduziert. Reiche Ausstattung, Walzermusik zu einer Ballszene, die im Roman nicht vorkommt, machen den Film zu einem opulenten Erlebnis auch für den, der das Buch nicht kennt.
Die religiöse Grundierung fehlt
Wer es aber kennt, dem fällt einiges auf. Wie in der Verfilmung von 1959 fehlt die Figur des Konsuls Johann Buddenbrook. Sie ist mit der seines Sohnes Jean zusammengezogen: aus vier Generationen mach drei. Dass die Enkelin Tony aus ihrer Ehe mit dem Betrüger Grünlich eine Tochter hat, die später einen Herrn Weinschenk heiratet, der ins Gefängnis muss, kommt auch nicht vor. Es fehlen andere Nebenfiguren wie die Pfarrer Pringsheim und Tiburtius, es fehlen viele leitmotivische Sentenzen („das putzt ungemein"), vor allem aber fehlt die religiöse Grundierung des Romans.
Nichts mehr ist geblieben von der genialen Kompositionsklammer der ersten und letzten gesprochenen Worte des Romans: von der Katechismusfrage „Was ist das?" am Anfang bis zur Jenseits-Bestätigung der (ebenfalls gestrichenen) Lehrerin Sesemi Weichbrodt und ihrem energischen „Es ist so" am Ende. Diese Klammer weicht im Film einem Action-Wagenrennen zwischen den Buddenbrook- und Hagenström-Kindern.
Wo bleiben Wagner und Permaneders München?
Die Schulnöte des kleinen Hanno Buddenbrook kommen nicht mehr vor. Seine Begeisterung für Wagners "Tristan" wird auf einen kurzen Ausruf reduziert. Hannos symbolischer Doppel-Schlussstrich unter seinem Namen im Stammbuch („Ich dachte, es kommt nichts mehr") wird, der besseren Bildlichkeit wegen, ein Doppelstrich durch den Stammbaum der Familie.
München ist im Film nur eine Episode. Tonys Heirat mit Herrn Permaneder, der Umzug nach München, die Unvereinbarkeit norddeutschen Dünkels und süddeutscher Lebensfreude („Du hast dich nicht akklimatisieren können"), werden auf eine Floßfahrt und eine Maß Bier reduziert und das schlimme „Wort", der Fluch Permaneders „Geh' zum Deifi, Saulud'r, dreckats!" gestrichen.
Lübeck triumphiert
Dafür wird die heimliche Hauptfigur Tony zur „Prinzessin von Lübeck" hochstilisiert. Dabei sieht ihre Ferienliebe, der stille Revoluzzer Morten, mit dem Wort von Tony als „Prinzeß'" doch nur die Parallele zwischen der Adels- und der Handelswelt. Der Film inszeniert die (im Roman gar nicht genannte) alte Hansestadt so spektakulär, als sei die marketingbewusste Umbenennung Lübecks in „Buddenbrooks-Stadt" beschlossene Sache.
Dirk Heißerer
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