Doppelpremiere im Deutschen Theater: „Öl“ und „Herz der Finsternis“
Auf das Berliner Premierenpublikum ist manchmal Verlass. Zu „Herz der Finsternis“ gab es auch für den noch im Mai beim „Prozess“-Gastspiel umjubelten Kriegenburg nur gehobenen Achtungsbeifall, nach der „Öl“-Premiere wurde neben Nina Hoss auch Lukas Bärfuss mit Bravos belohnt.
Der Schuss, mit dem Nina Hoss ihren Bühnen-Partner niederstreckte, traf knallend ins Schwarze. Am Ende von Lukas Bärfuss` satirisch gepolstertem Melodrama „Öl“, das am Tag nach Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ das gewagte Uraufführungs-Doppel zum Start von Ulrich Khuons Intendanz am Deutschen Theater Berlin ergänzte, also doch noch hochgerissene Zuschauer. Sekundenschock für distanzierter Heiterkeit, mit der bis dahin irritierend leichtfüßig durch vermintes Gelände getänzelt wurde. Um rücksichtslose europäische Abenteurer auf Öl-Suche in Afrika geht es, real vorgeführt und metaphorisch gespiegelt im Psycho-Porträt einer grünen Witwe, die vor Ort beim Warten auf den klebrigen Segen („Finde Öl, finde Öl“, feuert sie ihren Mann hysterisch an) in der Arroganz der Zivilisation durchdreht als ob Woody Allen und Ingmar Bergman gleichzeitig ihre Schrauben gelockert hätten.
Am Abend zuvor war mit der legendären Conrad-Erzählung in der gehemmt dramatisierten Fassung von John von Düffel das Thema ins Mystische aufgerissen worden. Der weiße Herrscher im Dschungel, seit Coppola auch ein Cineasten-Heros, gerät beim neuen DT-Oberspielleiter Andreas Kriegenburg allerdings in die Mühlen eines luxuriösen Impro-Theaters. Grade weil er sich bei der Umsetzung des bühnenfernen Textes am eigenen Münchner Kafka-Erfolg mit dem „Prozess“ orientierte, landet die Gymnastik in Spielstunden-Naivität: Apokalypse, oh!
Nach der Papierform müsste das bisherige Erfolgs-Team des Hamburger Thalia-Theaters in Vereinigung mit den starken Köpfen der führenden Hauptstadt-Bühne ohnehin an die Spitze durchstürmen, aber solche Rechnungen funktionieren selten. Also schwor Intendant Khuon gleich mal klug den burgtheatralen Klassiker-Fanfaren ab (Kleists „Prinz von Homburg“ folgt immerhin als Premieren-Nummer 3) und setzte auf die Verknüpfung zwei weit voneinander entfernter Texte zur Signalisierung seiner offen bleibenden Suche. Das ist imponierend, auch wenn es allenfalls halb glückte.
Regisseur Stephan Kimmig entwickelte mit Autor Bärfuss, der spätestens seit „Der Bus“ zu den gesetzten Größen des Gegenwartstheaters gehört, das Auftragswerk zum Gleichnis einer sinnentleert gierigen, verlorenen Gesellschaft. Der Rohstoff, aus dem die Träume sind, kann ihr beim Überleben nicht helfen, die Katastrophe kommt zwangsläufig. Die grandiose Nina Hoss rankt sich als hektisch gegen die Vereinsamung ankämpfende West-Tussi an der Gesellschaft ihrer radebrechenden Haushaltshilfe hoch, die Schlachtordnung eines globalen Zickenkriegs immer im Silberblick. Margit Bendokat ist das stoische Gegenbild einer Ur-Gestalt und hinreißend, wenn sie weisungsgemäß die hundert wichtigsten deutschen Worte und dann auch noch Rilke-Lyrik mit absoluter Gefühlsabstinenz trainiert. Die Männer, gewalttätige Pioniere der Ausbeutung, werden erledigt. Da hebt sich das Stück, das mit Zynismus wirbelt, nach vielen glänzend ausgespielten Momenten selber aus den Angeln. Ein gewollter Sturz ins Nichts.
Auch in „Herz der Finsternis“ ist Afrika der Schauplatz von fremdbestimmtem Wahnwitz, aber Andreas Kriegenburg mag bei der sowieso anfechtbaren Adaption nicht allzu viel wagen. Er hat wie für eine Metaphern-Kulisse riesige Gliederpuppen als traurige Mahn-Monster eines geschundenen Volkes platziert und lässt die Schauspieler (Natali Seelig mimend vorneweg) viel erzählen, ehe aus Beschreibungen auch Situationen werden. Sie ballen sich, gern an der Kletterwand hängend, zu antiken Chören, machen die tragende Rolle zum Wechselrahmen. Sie verkleinern die Inspiration, die im Kino zum Walkürenritt mit Hubschrauber führte, zum Bild einer Gesellschaft, die ihre Zivilisationsmaske auf offener Bühne mit handlichen Lehmschichten überschminkt.
Und wieder und wieder wird breit erzählt, wozu der Leser kaum Illustration bräuchte, wird der unfassbare „Albtraum meiner Wahl“, der da auch über uns Beobachter im Parkett kommen sollte, zum geordneten Spiel-Seminar für Hochbegabte. Ja, sehr tüchtig. Auf das Berliner Premierenpublikum ist manchmal Verlass. Zu „Herz der Finsternis“ gab es auch für den noch im Mai beim „Prozess“-Gastspiel umjubelten Kriegenburg nur gehobenen Achtungsbeifall, nach der „Öl“-Premiere wurde neben Nina Hoss auch Lukas Bärfuss mit Bravos belohnt. Verdientermaßen. So oder so, mit einem Theater, das so mutig einsteigt, darf man rechnen.
Dieter Stoll