Doch "Kein Tod auf Golgatha"?

In „Kein Tod auf Golgatha“ behauptet der Historiker Johannes Fried, dass Jesus am Kreuz gar nicht gestorben ist
Robert Braunmüller / TV/Medien |
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Die von Caravaggios ungläubigem Thomas kritisch betatschte Wunde ermöglicht Jesus – laut Johannes Fried – das Überleben.
dpa Die von Caravaggios ungläubigem Thomas kritisch betatschte Wunde ermöglicht Jesus – laut Johannes Fried – das Überleben.

Es gibt wohl kaum ein Buch, dessen Autor sich öfter dafür entschuldigt, es geschrieben zu haben. Und mehr als einmal formuliert der angesehene Mittelalterhistoriker Johannes Fried die Befürchtung, er werde nun nicht mehr ganz ernst genommen.

Nicht ohne Grund, denn Johannes Fried wartet in „Kein Tod auf Golgatha“ mit einer steilen These auf: Jesus sei nicht am Kreuz gestorben, sondern lediglich in eine Kohlendioxid-Narkose gefallen. Der Lanzenstich des römischen Hauptmanns ließ das Wundwasser abfließen. Danach habe Jesus im Grab womöglich nur noch mit einem Lungenflügel geatmet. Die Salböle hätten aber die Heilung begünstigt, und am dritten Tag sei er nicht von den Toten auferstanden, sondern putzmunter in Richtung Dekapolis davonspaziert.

Man liest es und reibt sich die Augen. Mediziner streiten über die Todesursachen von Sensationsfunden wie dem Ötzi oder Tutanchamun, deren irdische Reste noch unter uns weilen. Fried redet dagegen über einen Mann, dessen Leiche seit fast 2000 Jahren verschwunden ist. Andere materielle Spuren hat dieser Jesus auch nicht hinterlassen. Und alle historisch verwertbaren Zeugnisse wurden von seinen Anhängern frühestens eine Generation nach seinem Tod aufgezeichnet.

Wiederholung schafft Gewissheit

Als zentrale Quelle für seine These zieht Fried das unter dem Namen des Johannes verfasste Evangelium heran. Nur hier nimmt der auch bei Markus, Matthäus und Lukas erwähnte Hauptmann die Wunddrainage vor. Fried respektiert zwar zähneknirschend die gängige Ansicht, dass es sich dabei um das späteste Evangelium handelt. Und er weiß auch, dass dort die Lebensbeschreibung Jesus Christus von theologischer Deutung überlagert wird.

Für ihn war trotzdem, wenn schon nicht Johannes selbst, so doch einer seiner Schüler der Verfasser, der vom Augenzeugen erfuhr, dass bei der Kreuzigung Blut und Wasser aus der Wunde floss. Dass bei diesem Detail keinen für Johannes typischen theologischen Bezug zur „Erfüllung der Schrift“ gibt, ist ein Punkt, der an Fried geht, solange kein Theologe den Gegenbeweis antritt.

Fried weiß als Historiker natürlich auch, dass der historische Jesus ein schwieriger Fall ist. Seine Lösung des Problems ist allerdings die billigste: die Autosuggestion durch das rhetorische Mittel der Wiederholung. Fried wiederholt sich in dem ohnehin schmalen Band so oft, dass seine Thesen beim zehnten oder zwölften Mal als Gewissheit erscheinen.

Unter Therapeuten

Solche Spekulationen haben die schöne Eigenschaft, dass sie zwar nicht bewiesen, aber auch nicht widerlegt werden können. Aber das ist noch kein Indiz für eine Wahrheit oder eine historische Tatsache. Und weil Fried nun einmal vom sogenannten „Mainstream“ abweicht, zieht er wie alle Autoren spekulativer Jesusbücher bereits in der Antike aussortierte Evangelien wie das des Markion und des Thomas hinzu.

Aber auch sie verraten nicht, was uns nun das neue Evangelium des Herrn Fried preisgibt: Während Paulus seine Theologie der Auferstehung entwickelte, weilte Jesus nach Fried erst in der Dekapolis im heutigen Jordanien. Irgendwann wurde ihm da der Boden zu heiß, und er floh nach Ägypten zu einer jüdischen Sekte mit dem schönen Namen „Therapeuten“. Womöglich war er identisch mit einem Unruhestifter, der sich um das Jahr 57 in Jerusalem herumtrieb und den der jüdische Historiker Flavius Josephus „Der Ägypter“ nennt.

Rationalität durch Spekulation

Nach diesem Misserfolg versteckte sich Jesus in Syrien, wo er als Menschenfreund und Therapeut im Gedächtnis blieb. Und als ob antike Theologen den echten Jesus gebraucht hätten, um die nächste theoretische Volte zu drehen, meint Fried, dass die Gegend deshalb zum Ursprung aller Häresien wurde, die Jesus nur als großen Propheten, nicht aber als von den Toten auferstandenen Sohn Gottes anerkennen – bis hin zum Islam.

Der Autor sympathisiert mit einem rationalistisch gereinigten Christentum ohne viel Theologie. Ein nachvollziehbarer, seit der Aufklärung bereits öfter praktizierter Ansatz. Dies allerdings mit einer spekulativen, den Boden der rationalen Argumentation verlassender Pseudo-Geschichtswissenschaft begründen zu wollen, ist ebenso erstaunlich wie die Veröffentlichung in einem Verlag, der für seine seriösen historischen Bücher bekannt ist.

Das hat womöglich zwei Gründe: Erstens: Jesus geht immer. Und zweitens: Frieds Pamphlet liest sich wie ein Krimi. Denn intelligente Leute argumentieren manchmal am klügsten, wenn sie sich im Irrtum befinden.

Johannes Fried: „Kein Tod auf Golgatha“ (C. H. Beck, 192 Seiten, 19,95 Euro)
 

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