Doc Fest: Nicht-Sein auf Finnisch

Im Film „The living room of the nation“ zeigt Jukka Kärkkäinen den Finnen in seiner natürlichen Umgebung – im Wohnzimmer. Das ist oft komisch, nicht selten bleibt einem aber das Lachen im Halse stecken.
von  Abendzeitung

Im Film „The living room of the nation“ zeigt Jukka Kärkkäinen den Finnen in seiner natürlichen Umgebung – im Wohnzimmer. Das ist oft komisch, nicht selten bleibt einem aber das Lachen im Halse stecken.

Im Fernsehen läuft Eishockey, ein verblichener braungelblicher Teppich mit Birkenlandschaft hängt an der Wand. Darunter steht ein durchwühltes Bett mit einem dicker Mann Ende 20. Er stöhnt, reibt sich über das Gesicht: „Wenn das Leben ein Shakespearstück ist, Sein oder nicht Sein, dann ist das hier das Nicht-Sein.“ Er eine von sechs Figuren in „The living room of the Nation“. Jukka Kärkkäinens Linse begleitet den werdenden Vater über mehrer Jahre, sieht ihn in schnaps- seliger Umarmung mit einem Kumpel übers Bett wälzen, stumpf in die Röhre schauen, oder mit Tränen im Augenwinkel ein Bild vom Neugeborenen mit dem Handy schießen.

Die Kamera, die starr einen Ausschnitt des Raumes filmt, scheint meistens von den Protagonisten vergessen zu sein. Das erzeugt große Unmittelbarkeit, voyeuristisch ist es trotzdem nicht. Finnische Klischees wie Alkoholismus, Selbstmord und Eishockey-Fanatismus streift Kärkkäinen nur am Rande. Im Vordergrund stehen die Geschichten der Menschen. Das kann ultra-komisch sein, wenn der gealterte Opernsänger beim Hosenbügeln sich den Schleim von den Stimmbändern knödelt, im nächsten Moment bleibt einem aber das Lachen im Halse stecken. Kärkkäinen ist bei seinen Landsleuten auf kleine Tragödien des Alltags gestoßen. Es ist eine Geschichte der Einsamkeit und der Unfähigkeit Gefühle auszusprechen. Die Kamera zeigt ein stoisches Gesicht mit Schweinsäuglein, das staccato-artig die Wörter hervorwürgt: „Wenn du erst anfängst nachzudenken, wirst du sprachlos“, der junge Mann sitzt in der Küche, hinter ihm auf dem Herd geht sein Steak in Flammen auf.

Johanna Jauernig

Noch zu sehen, am Samstag, 8. 5., 19 Uhr im Atelier 2, finOmU.

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