Dmitri Schostakowitsch: Alle Symphonien auf einen Streich

Die Münchner Philharmoniker starten heute unter Komponist Valerie Gergiev einen Schostakowitsch-Zyklus.
Marco Frei |
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München - In Russland ist Stalin wieder schick. Neue Denkmäler werden errichtet, die den sowjetischen Diktator und Massenschlächter ehren. In der Moskauer Metro-Station Kurskaja, die unter dem Diktator errichtet wurde, prangen seit 2009 wieder die Hymnen von einst: „Uns hat Stalin großgezogen in Treue zum Volk”. Diese Sanierung wird auch „historische Rückführung” genannt. Selbst an Schulen und im Fernsehen wird Stalins Terror relativiert.

Trotzdem möchte Valery Gergiev nicht von einem neuen Stalinkult in Russland sprechen. „Wenn es eine solche Bewegung gibt, so ist sie doch mikroskopisch klein, denke ich”, sagte der russische Dirigent unlängst auf einer in München. „In der Gesamtheit Russlands kümmert man sich nicht darum. Ich bin sicher, dass man sich auch in Deutschland nicht über Gestalten aus der Vergangenheit viel sorgen muss.” Dabei präsentierte Gergiev ein Projekt, das letztlich auch diese Fragen berührt. Denn in dieser Saison dirigiert er erstmals in München alle 15 Sinfonien von Dmitri Schostakowitsch.
Unter Stalin war der Komponist mehrmals attackiert worden. Bisweilen fürchtete er um sein Leben. „In der Musik von Schostakowitsch nehmen Stalin und Hitler keinen zentralen Platz ein”, so Gergiev. „Das ist meine Meinung. Ja, sie waren da, als Schostakowitsch seine Sinfonien komponierte. Aber es gibt in ihnen so viel schöne Musik, die nichts mit beiden zu tun hat. Ich verbringe meine Zeit nicht damit, ein Porträt von denen in der Musik zu finden. Was ich aber höre, ist die Intensität und das Drama der damaligen Zeit. In diesem Sinn werde ich in München versuchen, dieses auch tragische Drama herauszuarbeiten.”

Dies tut Gergiev nun mit den Münchner Philharmonikern und dem Petersburger Mariinski-Theater, wo er seit 1988 als Künstlerischer Leiter wirkt. Diese Kooperation ist ein Novum, zudem arbeiten für dieses Projekt ein öffentlicher und ein privater Veranstalter zusammen: MünchenMusik veranstaltet alle Gastspiele der Russen. Besonders mutig und verdienstvoll ist dabei das Konzert am 24. März 2012, wenn mit der Zweiten, Dritten und Dreizehnten groß besetzte und kaum gespielte Chorsinfonien anstehen.

Dagegen läuten die Münchner Philharmoniker den Zyklus heute mit den Sinfonien Nr. 1 und 4 ein. Beim großen Finale am 18. Juli 2012 spielen sie die Elfte und Fünfzehnte. Dazwischen liegen fünf weitere Konzerte. Es ist der erste Gesamtzyklus in Bayern. Ob auch international Akzente gesetzt werden, bleibt indes fraglich. Denn bereits in New York, London, Wien und St. Petersburg hat Gergiev einen Gesamtzyklus realisiert. Dass nicht auch Mariss Jansons und das BR-Symphonieorchester mit dabei sind, ist höchst bedauerlich: Das wäre nämlich ein wirklich einzigartiges Ereignis.
Drei Spitzenorchester hätten sich präsentiert. Am Pult stünden zwei Schostakowitsch-Experten, die noch dazu gegensätzliche Ansätze pflegen. Dafür wären Musikfreunde aus aller Welt nach München gepilgert. So aber zeigt sich einmal mehr, dass Kooperationen innerhalb Münchens nicht gelingen und Potentiale ungenutzt bleiben.

Das offenbarte sich schon 2006, als nur der BR den 100. Geburtstag von Schostakowitsch groß beging – allerdings ohne Zyklus. Das jetzige Projekt ist überfällig. Zudem wartet man in München bis heute vergebens auf Schostakowitschs Oper „Die Nase”, ganz zu schweigen von der skurrilen Operette „Moskau-Tscherjomuschki”.

Mittwoch, 02.11.2011, 20 Uhr, Gasteig. Karten Tel. 936093 und 01805/481810

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