Dieter Dorn: Der Weg ist ausgeschritten

Eine Ära geht zu Ende. Dieter Dorn und sein Ensemble verabschieden sich mit Kleists „Käthchen” und dem Überraschungsfinale „From Dusk till Dorn” an diesem Wochenende vom Residenztheater
von  Volker Isfort

Seit Wochen heißt es im Spielplan „zum letzten Mal”, Dieter Dorn hat in seinen letzten Tagen als Intendant am Residenztheater vor allem eine Aufgabe gehabt: Schauspieler trösten. Das ist dem 75-Jährigen auch deswegen so schwer gefallen, weil ihm sein Ensemble so am Herzen liegt und manche in eine ungewisse Zukunft ziehen.

AZ: Herr Dorn, mit Ihrem Abschied enden über vier Jahrzehnte Münchner Theatergeschichte. Bemerkenswerterweise haben Sie fast ausschließlich mit Jürgen Rose für Bühne und Kostüme zusammengearbeitet.

DIETER DORN: Jürgen Rose ist für mich der entscheidende Mann, seit wir 1976 gemeinsam die „Minna” gemacht haben. Dann haben wir nicht voneinander gelassen, bis auf ganz wenige Ausnahmen. Es ist ja kein klassisches Bühnenbild, was bei uns entsteht. Ich sehe das eher als ein Gelände, auf dem Menschen miteinander umgehen. Optisch bin ich mit Jürgen Rose einen Weg gegangen, der immer einfacher geworden ist, bis wir den Mut gefunden haben, vom leeren Raum auszugehen. Wir haben immer eine gemeinsame Sache verfolgt, es lässt sich oft gar nicht sagen, was von wem ist.

Lassen Sie sich überhaupt etwas sagen?

Natürlich, alles!

Auch von den Schauspielern?

Ja, aber es gibt einen Trick: Ich sage immer, ihr könnt alles sagen, wir machen auch alles, aber über den Geschmack bestimme ich. Je größer die eigene Vorbereitung ist, desto besser kann man improvisieren, aber am Ende muss irgendeiner sagen, jetzt taugt mir das.

Ganz so diktatorisch können Sie ja kaum gewesen sein, Sie haben ein Ensemble aufgebaut und Schauspieler gefunden, die Ihnen teilweise Jahrzehnte gefolgt sind.

Es gibt von meinem Theaterverständnis her eine Konstante, die immer größer und bedeutender war als die Schauspieler oder der Regisseur – und das ist der Text. Die Beschreibung der Welt durch den Autor oder wie er ein Problem sieht, das ist die Nummer eins. Dann kommen die Schauspieler, die müssen es tragen, es als ihres akzeptieren und das Dritte ist der Regisseur. Theater ist ein Gesamtkunstwerk

Wie schafft man ein so langes Vertrauensverhältnis – durch Nähe oder Distanz?

Das geht nur durch Distanz. Bei der Probe vormittags ist man sich oft in einer Art Selbstentblößung so nahe und schutzlos gegenüber, dass man dann unbedingt Abstand suchen muss, vor allem als Intendant. Sie können nicht einen Schauspieler als Gast haben, einen im Ensemble und einen als echten Freund und dann gemeinsam proben, das bekommen sie nicht hin. Das größte Drama ist aber, wenn der Intendant seine Freundin im Ensemble hat. Das ist eine gemischte Raubtiergruppe, und sie dürfen dort keinen Fehler machen.

Sie waren nie infiltriert durch andere Theatermoden.

Es gibt so viele Arten, Theater zu machen. Das einzige was mich stört, ist, zu fragen, warum ich meinen Weg gewählt habe. Jeder hat nur ganz gewisse Möglichkeiten, das ist dann deine Palette und die musst du nutzen. Ich brauche kein Video, um den Kopf des Schauspielers zu zeigen und keine Headsets, damit die Stimme elektronisch verstärkt wird. Das Theater sollte kein Kino inszenieren, den neuen Medien nachlaufen oder sie verwenden, denn das kann das Theater ohnehin nur unzulänglich.

Und die Idee des Schocks?

Auch die ist tot: Ich erinnere mich an eine Aufführung von Handkes „Publikumsbeschimpfung” mit nackten Schauspielern, die ich vor langer Zeit sah. Merkwürdigerweise ist das einzige, an das ich mich erinnere, die Beobachtung, dass bei der Atmung die Genitalien der einzelnen Herren ganz andere Bewegungen machten. Vom Text ist nichts geblieben, das hat ja alles keinen Sinn. Sinnvoll war die Nacktheit bei Rolf Boysen, als er am Ende seines Erkenntnisprozesses als King Lear angekommen war und sich auszog, weil er nichts mehr ist. Das aber muss der Schauspieler selbst entscheiden, ich habe ihn nur in diese Richtung geführt.

Sie spielen Kleists "Käthchen von Heilbronn" in der Originallänge. Überall in der Republik würde das Stück wohl gekürzt.

Die jungen Regisseure machen oft den Fehler, dass sie alles, was sie nicht verstehen, zu widersprüchlich oder einfach blöd finden, herausstreichen. Sie bekommen dann als Publikum nur Reader’s Digest. Genauso schwer wiegt, dass in den alten Texten die alten Strukturen veralbert oder die Figuren lächerlich gemacht werden. Wenn sie den Grafen in „Figaros Hochzeit” nicht ernst nehmen als Spitze der Gesellschaft, dann können sie das ganze Ding sein lassen.

Dafür sieht man häufig tagespolitische Anspielungen auf der Bühne.

Die gehört nicht ins Theater. Wir haben immer versucht, Politik zu poetisieren, auch schon mit Polt und den Biermösl Blosn. Die Tagespolitik dagegen ist etwas für die Zeitungen.

Ihr Kollege Peymann vom Berliner Ensemble wollte noch vor zehn Jahren „der Stachel im Fleisch der Republik” sein.

Das ist überhaupt nicht mein Weg. Aber ich war doch sehr gerührt, dass Peymann mir jetzt einen Brief geschrieben hat. Er hat ein Interview von mir auf ein Flugblatt gedruckt und im Theater verteilt. Offensichtlich findet er meine Haltung zum Theater nicht so ganz falsch.

Wie lebendig ist das deutsche Theater?

Eigentlich haben wir eine weltweit einzigartige Theaterlandschaft, durch eine ungeheuer tolle Theatertradition, die noch aus der Kleinstaaterei resultiert. Jeder Fürst wollte sein Theater sein Orchester, dann hat das Bürgertum den Anspruch übernommen. Es ist aber trotzdem so, dass dies die öffentliche Hand ist, jeder, der hier spielt und inszeniert hat einen öffentlichen Auftrag. Er soll im besten Falle dem Publikum ermöglichen, vielleicht nach einem langen Arbeitstag, zu sich selbst zu kommen. Durch die Geschichte eines anderen, sein eigenes Weltbild zu durchdenken. Das ist die wahre Kraft des Theaters, deswegen muss man auch die Stücke so offen lassen: Man darf nicht sein eigenes Weltbild interpretieren – 800 Zuschauer sehen 800 verschiedene Aufführungen.

Werden Sie das Haus als Zuschauer weiterhin betreten?

Das weiß ich ehrlich gesagt noch nicht. In den Kammerspielen war ich nach dem Wechsel ans Residenztheater nur ein einziges Mal. Ich habe es emotional nicht geschafft, schon allein wegen der Räumlichkeiten. Über jede Tür hatten wir dort für die Renovierung noch zu meinen Intendantenzeiten diskutiert. Und dann hat mir der Eigentümer kurz vor dem Wiedereinzug den Schlüssel weggenommen. Ich kann da im übertragenen Sinne nicht zugucken wie die anderen darin wohnen.

Diese Kränkung durch den damaligen Kulturreferenten Julian Nida-Rümelin vergessen Sie wohl nie?

Ich bin Skorpion und ich bin Sachse, und beides zusammen ist nicht ohne. Und in meinem Eisfach liegt das Thema drin. Aber ich war ja vor allem aus einem Grund enttäuscht: Wir haben lange gespart und gelitten für die Neueröffnung. Und als das Haus einigermaßen fertig war, hätte ich – vielleicht zwei Jahre – gerne dort inszeniert und das Haus eingespielt. Insofern war ich als Künstler beleidigt, als das vor allem ein Mann in der Stadt nicht wollte. Aber gut, wir haben alle nur Zeitverträge.

Haben Sie jemals so häufig auf der Bühne gestanden wie in den letzten Wochen?

Nein. Aber es ist nie mein Kindertraum gewesen, den Apparat zu bedienen, sondern eine Truppe zu haben. Und mit dieser so lange zu forschen, bis wir ein Stück haben, das wir immer weiter spielen. Und nun lande ich am Ende meines Weges quasi als Spielleiter und Engel, Deus ex Machina und Kaiser wieder auf der Bühne. Das ist sehr anstrengend, aber auch sehr schön.

Man hätte den Abschied nicht besser inszenieren können.

Aber er war nicht geplant. Eigentlich wollte ich Rolf Boysen für die Rolle gewinnen, der wollte nicht mehr so häufig auf der Bühne stehen. Und so denke ich mir träumerisch: William Shakespeare hatte seine Truppe, Molière hatte seine Truppe, und jetzt habe ich mit dem Käthchen zum Abschluss auch meine Truppe.

Haben Sie Angst vor dem letzten Auftritt?

Die Abschiede haben sich in den letzten Wochen Gott sei Dank schon verteilt, weil es ja so viele Abo-Vorstellungen waren, immer kleine Abschiede. Und wenn man manchmal zwischendurch eine Träne verdrückt, ist das ja auch befreiend. Ich bekomme Briefe von Menschen, die mir schreiben, dass sie seit 1976 jede Aufführung von mir gesehen haben. Die sitzen jetzt zum letzen Mal bei mir, die sind ja mit uns den Weg gegangen. Aber ich habe auch das Gefühl, mein Weg hier ist ausgeschritten.

Dafür beschäftigt Sie in den nächsten drei Jahren am Grand Théâtre in Genf Richard Wagners „Ring des Nibelungen”.

Das geht eben nur, wenn man kein Theater mehr leiten muss. Wolfgang Sawallisch hat mir den Ring auch einmal angeboten, aber damals musste ich ablehnen. Jetzt übernehme ich mit Jürgen Rose und Dirigent Ingo Metzmacher die Aufgabe. Beim Schauspiel stecke ich allerdings in der Falle: Ich habe ja nur mit dem Ensemble gearbeitet und das gibt es nun nicht mehr.

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