Diese Stimme!
Schon diese Stimme. Wie ziemlich dunkles Starkbier schäumt sie aus Kellertiefen herauf. Derb, wenn’s sein muss. Und grad so kann dieses Prachtorgan säuseln, wie Waldhonig geht das in die Ohren, wenn wieder mal ein weibliches Wesen ancharmiert wird, um irgendeinen Aktenordner rauszurücken.
Gert Anthoff braucht gar nicht viel zu sagen, schon dominiert er die Weiten eines ganzen Theaters. Und er ist einer der Letzten, die echtes Bayerisch auf die Bühne bringen. Oder in irgendeine seiner zahlreichen Fernseh-Dauerbrenner. Heute wird der Münchner Schauspieler 65 Jahre alt – und hat vermutlich kaum Zeit zum Feiern.
Denn man fragt sich tatsächlich, wann dieser Mann all die Filme und Serienfolgen dreht, die bald täglich über den Bildschirm flimmern. Gar nicht nebenbei spielt er noch Theater, bis vor kurzem jedenfalls am Bayerischen Staatsschauspiel. Aber am Residenz Theater brechen mit Martin Kušej jetzt andere Zeiten an.
Immerhin war Anthoff dort seit 1970 Ensemblemitglied. So was galt früher schon als Rarität im Metier. Aber vermutlich blieb auf diese Weise immer die Verbindung mit München, mit der Bühne, mit der Kulturszene der Stadt, in der er kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde. Im Westend ist er aufgewachsen, und das Ur-Münchnerische blieb immer seine Sprache, sie durchdringt selbst die hohen Klassiker des Theaters. Ganz zu schweigen von all den bayrischen Helden, die er wie selbstverständlich auf Bretter und Mattscheiben hebt. Übrigens immer ohne zu dimpfeln oder in gefährliche Nähe zu irgendwelchen Holdrio-Stadeln zu geraten.
Zum Theater drängte es Anthoff schon in ganz jungen Jahren, Tante Fanny war Garderobenfrau am Residenztheater, der Onkel schloss nebenan, am Nationaltheater, die Türen. Damit waren dann auch die Tore schon einen guten Spalt weit offen, bereits als Jugendlicher nahm Anthoff Schauspielunterricht. Dass sich der Bayerische Rundfunk den jungen Kerl mit Hang zum Dialekt nicht entgehen ließ, versteht man nur zu gut. Gustl Bayrhammer, Fritz Straßer und Eva Vaitl lernte er kennen, die ihn bald ans Resi brachten. 27 Jahre lang trat Anthoff im „Brandner Kaspar” auf, in 950 Vorstellungen!
Zum Fernsehen ging’s dann 1989 erstaunlich spät, dafür aber gleich gscheit. Den Amtmann Deinlein spielte er im Willy Puruckers „Löwengrube”, bekannt wurde er auch mit der „Hausmeisterin” oder als Prozesshansl im „Café Meineid”. Im „Bullen von Tölz”gehört er als schmieriger Bauunternehmer Rambold zum zwielichtigen Inventar. Im „Kaiser von Schexing” bringt er mit mehr oder weniger Fortune die Stadtfinanzen ins Lot. Und mit Senta Berger erspielte sich Anthoff in der ZDF-Serie „Unter Verdacht” einen Grimme-Preis (nächste Folge am 3.9.). So wird es weitergehen, nicht nur zuletzt auch deshalb, weil das Bayerisch, respektive Münchnerisch, das Anthoff mit so viel Charme in die Theater- und Fernsehwelt trägt, bei den meisten seiner Kollegen so klingt, als hätten sie eben mal eine Fremdsprache im Schnellkurs gelernt. Es wird also nix mit dem Ruhestand, das sagen nicht nur seine Anhänger.
Wobei, in einem Fall der Schlussstrich leider wirklich gezogen wurde. „42 Jahre stand ich auf dieser Bühne, heute zum letzten Mal”, sagte Anthoff Anfang Juli beim Staatsschauspiel-Abschiedsabend „From Dusk till Dorn”. Vor den Augen seines ebenfalls scheidenden Intendanten trug Anthoff eine kurze Geschichte E.T.A. Hoffmanns vor, über den Verrückten, der glaubt die Sonne zu sein. Ab und zu bleiben die Menschen vor ihm stehen und tun so, als ließen sie sich von ihm blenden. Dann ist er glücklich. Doch diese von Anthoff als Parabel auf den Schauspielerberuf vorgetragenen Geschichte könnte kaum weiter von seinem Naturell entfernt sein. Anthoff meidet falschen Glanz, Promi-Galas und Blenderei wo er nur kann.