Diese Morde werden paarweise begangen
Ein totgeglaubter Mörder taucht wieder auf. Dabei hatte ihn die Kollegin von Kommissar Joona Linna, die junge Saga Bauer, erschossen. Aber sein Körper war in den Fluss gekippt – und auf einer Insel mit einer Kapelle findet man jetzt lebendig begrabene Menschen. Mehrere Morde – auch einer auf einem Campingplatz an der deutschen Ostsee – deuten darauf hin, dass Jurek Walter doch noch lebt – oder zumindest einen ihm hörigen Menschen als Werkzeug benutzt. Der große Erfolg der Joona-Linna-Krimis ist bei seinem fünften Band „Lazarus“ angekommen. Ein Besuch bei dem Krimi-Paar Ahndoril in Stockholm, das sich hinter dem Autorennamen Lars Kepler verbirgt.
AZ: Herr und Frau Ahndoril, zu Beginn Ihrer Krimi-Geschichten waren Sie beide selbst Ziel einer „Menschenjagd“...
ALEXANDER: Ja, Alexandra und ich wollten zum ersten Mal zusammen schreiben – ein Kinderbuch. Wir kamen aber nicht richtig zusammen. Also sagten wir: „Wir können nicht als zwei Schriftsteller gemeinsam schreiben, schaffen wir also ein anderes Drittes!“. Plötzlich waren die Probleme verschwunden, aber es wurde ein Krimi und wir wollten das Geheimnis der Urheberschaft bewahren. Nicht einmal unsere Töchter wussten Bescheid.
ALEXANDRA: Wir schickten also unser Manuskript anonym dem Verlag – mit einer fiktiven Autoren-Biografie eines gewissen Lars Kepler.
Der Hype setzte aber nicht sofort ein, oder?
ALEXANDER: Doch, recht schnell: Es begann alles nach einer Buchmesse. „Der Hypnotiseur“ war ganz groß ins Ausland verkauft worden und schwedische Zeitungen drehten durch. ALEXANDRA: Das erste Gerücht war, Henning Mankell sei der Autor. Und der war natürlich sauer.
ALEXANDER: Viele Namen fielen, aber nie unser. Eine Boulevardzeitung hatte eine Hotline eingerichtet für Hinweise. Schweden war in einem lustigen Fieber.
Wie haben Sie reagiert?
Drei Wochen nach dem Erscheinen des Buches zogen wir uns in ein einsames Haus im Südwesten zurück. Es war dunkel, als wir Taschenlampen im Garten leuchten sahen. Es klopfte. ALEXANDRA: Ich sagte: „Geh’ nicht an die Tür! Sollen wir die Polizei rufen?“
Wer hatte Sie gefunden?
Ein berühmter Kriminologe und Profiler hatte es herausbekommen und zwei Journalisten standen mit einer Kamera vor der Tür und sagten: „Guten Abend, Lars Kepler!“
Eine Pressekonferenz am folgenden Tag war dann das Coming-Out.
ALEXANDER: Aber es war der Tag, an dem sich eine unserer schwedischen Prinzessinnen verlobte. Und das Verrückte war, dass wir sie von den Schlagzeilen verdrängt hatten.
Aber wie war man Ihnen auf die Spur gekommen?
Eine Zeitung hat im Nachhinein „zehn Beweise“ veröffentlicht, warum wir es waren. Alles nicht überzeugend. Letztlich hat uns der Name Lars Kepler verraten.
ALEXANDRA: Ich hatte ein Buch über Tycho Brahe geschrieben, ein Astronom, der Assistent bei Johannes Kepler war. Und Lars ist einfach eine Hommage an den großen, verstorbenen Stieg Larsson und seine „Milenniums-Trilogie“.
Aus einem Kinderbuch-Projekt ist letztlich eine große Krimi-Reihe geworden, die jetzt auch in Deutschland wieder neu aufgelegt wird. Wie haben ihre Kinder damals reagiert?
ALEXANDER: Als sie aus der Schule kamen an dem Pressekonferenztag, haben Sie gesagt: „Seid das wirklich ihr?“ Sie hatten während unseres Schreibens nichts mitbekommen. Heute ist unsere Älteste 18 Jahre und mag unsere Bücher nicht besonders. Aber sie wird damit dauernd konfrontiert, weil ihre Freunde und Freundinnen und deren Elter unsere Bücher lesen. Die Mittlere ist – mit 17 – unsere erste Leserin.
Die Kritik zu "Lazarus" lesen sie hier
Sind die Bücher nicht zu grausam?
ALEXANDRA: Wir haben unseren Töchtern immer gesagt, dass es nicht um uns geht und dass sie 15 Jahre alt sein müssen, weil das in Schweden so Gesetz ist bei Kino-Thrillern. Unsere Kleinste mit 13 Jahren bekommt noch keines unserer Bücher in die Hand. Der wären auch die Sexszenen peinlich.
Zwischen Verbrecher und Jäger gibt es psychologische Ähnlichkeiten. Das gilt sicher auch fürs Schreiben, oder?
Das ist ein heikles Thema. Denn sicher: Schreiben bedeutet Empathie mit den Figuren, auch wenn du verabscheust, was sie machen.
ALEXANDER: Aber der Mörder denkt, dass sein Tun richtig ist in seiner besonderen Situation: Es gibt immer eine Logik hinter einen Mord, ein Rachebedarf, zum Beispiel.
ALEXANDRA: Aber meist schreiben wir ja aus der Perspektive der Kommissarin oder des Kommissars oder der des Opfers.
Wer von Ihnen ist für die grausameren Szenen zuständig?
ALEXANDER: Niemand. Keiner von uns ist auch Experte für irgendetwas – wie zum Beispiel Waffentechnik. Es herrscht bei Recherche und Schreiben fast unheimliche Gleichheit.
Das klingt zu romantisch.
Aber es ist so: Wir sitzen beim Schreiben nebeneinander. Wenn ich schreibe, kann ich die Stimmen der Charaktere hören. Sie sprechen während des Schreibens und ich versuche, mit ihnen Schritt halten. Ich kann sie sehen, was sie machen und so weiter. Ich flüstere, was sie sagen. Dann schreibe ich fünf Seiten und sende ein E-Mail an Alexandra. Nach einer halben Stunde ist das E-Mail zurück und plötzlich hast du den Text leicht verwandelt. Und das geht umgekehrt genauso, so dass es am Ende vielleicht keinen Satz mehr gibt, der nur von einem stammt. Und das funktioniert ohne Schreibblockade, weil wir da ja Lars Kepler sind.
Aber wie koordinieren Sie die Handlung?
Wir diskutieren erst die Handlung, was lange dauert, denn wir wissen: Damit sind wir dann ein Jahr beschäftigt und das muss uns also richtig faszinieren.
ALEXANDRA: Das ist dann der magische Teil, wenn die Charaktere ihren Weg gehen. Aber jeder von uns hakt an einer anderen Stelle ein und beginnt zu schreiben.
ALEXANDER: Da ist dann alles klischeehaft wie bei einem polizeilichen Ermittlungsteam: An einer großen Wand hängen Zettel mit Fotos von Orten, Ideen - und jeder Charakter im Buch hat eine Biografie. An diese Wand schauen wir immer wieder beim Schreiben und ergänzen Ideen.
Und wie endet der Prozess?
ALEXANDRA: Das Haus ist ein totales Chaos, das Schreiben war wie ein Rennen. Wenn das Manuskript raus ist, entsteht ein merkwürdiges Gefühl. Dann beginnen wir, unser Haus zu putzen oder langweilige Sachen zu machen. Aber schon nach wenigen Tagen haben wir schon eine neue Idee.
Wie kann man eigentlich von den Grausamkeiten, über die man schreibt, unberührt bleiben?
ALEXANDER: Meine Frau hat während des Schreibens nachts durchaus Albträume.
ALEXANDRA: Wenn das Buch abgegeben ist, verschwinden sie wieder. Aber das Schreiben behandelt auch Ängste therapeutisch. Ich zum Beispiel habe Klaustrophobie, aber in „Lazarus“ werden Menschen lebendig begraben und durch ein Luftrohr und mit etwas Essen am Leben erhalten.
ALEXANDER: Was viele vergessen: Krimis sind eine optimistische Literaturgattung! Es geht meist von Chaos, Verbrechen und Dunkelheit zu Ordnung und Licht. Die Welt scheint am Ende repariert, auch wenn sie eine andere ist als zuvor. Wenn man Zeitung liest, liest man über wirkliche, gerade begangene, beunruhigende Morde. Auch ein Krimi beginnt meist so, aber man weiß: Der Täter wird überführt werden.
Könnten Sie ein Anleitungsbuch für einen guten Krimi verfassen?
ALEXANDRA: Nein, aber wenn, würde es heißen: „Gib nicht auf!“
Was würden Sie jemandem sagen, der sagt: „Krimis mag ich nicht!“
ALEXANDER: Ich würde sagen: Krimi eine große Gattung, die sogar Liebesromane einschließt und ja nicht immer Horror sein muss. Da findet jeder sein passendes Buch.
Warum lassen sich Menschen gerne erschrecken oder gruseln?
Es ist eine Art Erregung, die aber beim Lesen eben ohne Risiko ist. Wir üben emotional den Umgang mit dem Gefährlichen, Unbekannten uns unseren Ängsten. Es ist dann wie ein Schutz.
Warum kommen ausgerechnet aus Skandinavien so viele Krimis?
ALEXANDRA: Wahrscheinlich, weil man es sich hier leisten kann: Die skandinavischen Gesellschaften gelten als besonders sichere, bürgerliche Länder.
ALEXANDER: Hinzu kommt meine Idee, dass wir gleichzeitig auch eine der säkularsten Regionen sind. Wenn man über das Gute und Böse im Menschen nachdenkt und das nicht mehr religiös und in der Kirche beantwortet werden kann, verlagert man die Auseinandersetzung über Falsch und Richtig stärker ins Literarische, Psychologische. Fiktionale Literatur ist daher ein sehr guter Ort, um über Moral nachzudenken und die Frage zu stellen, wie eine Gesellschaft denn aussehen soll.
Lars Kepler: „Lazarus“ (Lübbe, 636 Seiten, 22 Euro)