Die Zukunft endet im Museum
Das Staatsballett feiert den Aufbruch zum modernen Ballett ziemlich traditionell
Märchenstunde im Nationaltheater. Weil es gilt, „100 Jahre Ballets Russes“ zu feiern, jenes Ensemble aus russischen Tänzern in Paris, das unter der Leitung von Sergei Diaghilew 1909 zum ersten Mal öffentlich auftrat, bat Ivan Liska die Enkelin des Choreografen Mi-khail Fokine, für das Staatsballett das orientalische Glamour-Spektakel „Shéhérazade“ zu rekonstruieren.
Tausendundeine Nacht in Technicolor: Was heute nur noch kitschig wirkt, mag damals mächtigen Eindruck gemacht haben. Diesmal war Lucia Lacarra die Männer verschlingende, lasziv-erotische Zobeide, die sich den sprunggewaltigen goldenen Sklaven (Lukas Slavicky) schnappt und damit ihren Gatten gehörig auf die Palme bringt. Fokines Choreografie bietet kaum mehr als Museum, eher erheiternd als mitreißend.
Leider ohne Ironie
„Les Biches“ von Francis Poulenc ist dem gegenüber geradezu ein Juwel, eine geistreiche Gesellschaftssatire, die sich nicht allzu ernst nimmt. Die Jeunesse dorée flaniert gelangweilt über die Bühne, Männer geben sich albern und zeigen Muskeln. Zwei Damen bekunden offenkundig, dass sie auch ohne das vermeintlich starke Geschlecht auskommen. Bronislawa Nijinskas Choreografie (1924), einstudiert von Diana Cury, ist klug, witzig und verteilt immer wieder kleine sozialkritische Seitenhiebe. Séverine Ferrolier brillierte als Dame im blauen Samtwams. Die übrigen hatten Spaß und zeigten Engagement. Poulencs Musik strotzt vor Ironie, was aber dem Dirigenten Vladimir Ovsianikov und dem Staatsorchester leider verborgen blieb.
Zum Finale „Giselle“, „Schwanensee“ und „Dornröschen“ in 45 Minuten: In der Uraufführung des Abends, „Once Upon An Ever After“ von Terence Kohler, ist jeder Satz von Tschaikowskys „Pathétique“ einem Tanz-Klassiker gewidmet. Rosalie hat dazu die Bühne mit effektvollem Sternenhimmel und von der Decke hängenden Spiralen ausgestattet. Ein amüsantes Spiel mit der Tradition, prächtig getanzt (allen voran Tigran Mikayelyan), das lediglich darunter litt, dass es mittlerweile ziemlich spät geworden war. In anderer Umgebung wäre das Stück womöglich besser aufgehoben.
Volker Boser
Weitere Vorstellungen am 11., 29.12. und 1.1. im Nationaltheater. Karten Tel. 2185 1920
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