Die Zeitschrift „Das Gedicht“ feiert 20-jähriges Bestehen

Anton G. Leitner ist das Herz des Zentralorgans für Realpoesie, das es nunmehr seit zwei Jahrzehnten gibt
von  Petr Jerabek

Über Prominente, die im Dschungelcamp ihre Grenzen überwinden möchten, kann Anton Leitner nur lächeln. „Wer wirklich sein Limit austesten möchte, sollte eher versuchen, ohne  Kapital eine Lyrikzeitschrift zu gründen“, schreibt der 51-Jährige im Editorial der neuen Ausgabe von „Das Gedicht“. Leitner, der aus Weßling bei München stammt, hat sich auf dieses Abenteuer eingelassen: Seit zwei Jahrzehnten hält er seine Lyrikzeitschrift ganz ohne öffentliche Subventionen am Leben. Den 20. Geburtstag feiert „Das Gedicht“ mit einer Jubiläumsausgabe sowie mit einem „Gipfeltreffen der Poesie“ im Münchner Literaturhaus.

Ohne Leitners Leidenschaft für die Lyrik und sein unermüdliches Engagement hätte „Das Gedicht“ keine Chance gehabt. Der 51-Jährige gibt die buchstarke Jahreschrift in seinem kleinen Anton G. Leitner Verlag heraus, zahlt sich selbst für die unzähligen Arbeitsstunden aber kein Gehalt aus. Selbst die Einnahmen aus seiner Tätigkeit für andere Verlage, für die er Lyrik-Anthologien zusammenstellt, fließen in „Das Gedicht“.

Und trotzdem stand die Lyrikzeitschrift schon vor dem Aus, zum Beispiel als Leitner im Jahr 2000 ein „Erotik-Special“ mit dem Titel „Vom Minnesang zum Cybersex. Geile Gedichte!“ vorlegte. „Das brachte uns in Schwierigkeiten, weil Buchhändler mitunter scheuer sind in sexueller Hinsicht, als man glaubt“, erinnert sich der Herausgeber. Manch Buchhandlung weigerte sich, die Sammlung zu verkaufen und schickte sie Leitner postwendend zurück. Erst die überwältigende Resonanz in den Medien rettete „Das Gedicht“ schließlich und machte die Erotik-Ausgabe sogar zu einem großen Erfolg.

Seither befasst sich jede „Gedicht“-Ausgabe schwerpunktmäßig mit einem Thema. Das Spektrum der vergangenen Jahre reicht von Religion und Politik, über Kindheit und Tiere bis hin zu Angst und Gesundheit. Für das Jubiläumsheft mit dem Motto „Das Beste aus 20 Jahren ... und für die nächsten 20 Jahre“ verzichtete Leitner erstmals seit Jahren wieder auf eine Themenvorgabe.

Als Co-Herausgeber gewann er den Schriftsteller Matthias Politycki, der für die neue Ausgabe aus allen bisherigen Heften 20 herausragende Gedichte auswählte. Darüber hinaus luden die beiden Herausgeber Hunderte Dichter ein, ihre besten unveröffentlichten Texte einzureichen.

Rund 2.000 Gedichte hatten Leitner und Politycki zu sichten, 120 schafften es ins Jubiläumsheft. Dabei sortierten die Herausgeber Texte auch ohne Rücksicht auf große Namen aus – selbst ein Gedicht von Friederike Mayröcker lehnten sie ab. „Es schien uns nicht das Richtige für die Ausgabe zu sein“, erläutert Leitner. Zu privat, zu unverständlich sei der Text gewesen.

Denn ausschlaggebend für Leitner wurde im Laufe der Jahre immer mehr, „lesbare Lyrik“ zu veröffentlichen, die ein möglichst breites Publikum anspricht. Und genau das ist es auch, was Politycki am „Gedicht“ begeistert. Die Zeitschrift habe sich über die Jahre immer deutlicher zum „zentralen Organ“ der „Realpoesie“ entwickelt, schreibt Politycki in seinem Editorial.

Leitner und Politycki setzen mit dem „Gedicht“ bewusst einen Gegenpol zur akademisch geprägten Lyrik: „Diese zu akademische Poesie, die oft preisgekrönt ist, behindert die Lyrik zum Teil, weil
sie den Eindruck erweckt, es würde sich bei Gedichten um etwas Hermetisches handeln“, beklagt Leitner. „Das Gedicht“ setze auf Poesie, die man auch ohne Germanistik-Studium genießen könne.

Zu einem Abend der Realpoesie soll auch der Jubiläumsabend im Münchner Literaturhaus am nächsten Dienstag, (23. Oktober) werden. Beim „Gipfeltreffen der Poesie“ sind 60 Autoren aus dem gesamten deutschsprachigen Raum zu erleben, darunter Paul Maar, Helmut Krausser, Friedrich Ani, Ulla Hahn, Franz Xaver Kroetz und Joachim Sartorius.

Darüber hinaus hat Leitner zum Geburtstag seiner Lyrikzeitschrift nur einen Wunsch: „Gratulieren durch Abonnieren.“ Denn nur ein stabiler Abonnentenstamm ermögliche es, weiter unabhängig zu
arbeiten und auch ein wenig im Voraus zu planen.

 

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