Die weibliche Sicht

Salzburg: Peter Handke ergänzt mit dem Frauenmonolog „Bis dass der Tag euch scheidet...“ Samuel Becketts „Letztes Band“. Jossi Wieler inszenierte die Koproduktion mit den Kammerspielen
von  Abendzeitung

Salzburg: Peter Handke ergänzt mit dem Frauenmonolog „Bis dass der Tag euch scheidet...“ Samuel Becketts „Letztes Band“. Jossi Wieler inszenierte die Koproduktion mit den Kammerspielen

Dramaturgisch ein geschickter Coup: Peter Handke erweckt die namenlose Frau, an die sich der alte Krapp beim Abhören seiner Tonbänder erinnert, zum Leben, und lässt sie in einem eigenen Monolog auf Krapp antworten. Sein Text „Bis dass der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts“ erweitert Samuel Becketts Solo „Das letzte Band“ zum Doppelabend, den Jossi Wieler als deutschsprachige Erstaufführung in Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen für die Salzburger Festspiele inszenierte. Die subtile, konzentrierte Aufführung mit André Jung und Nina Kunzendorf fand im Landestheater nach 90 Minuten freundlichen Beifall, gegen den sich einzelne Buhrufer nicht durchsetzten.

André Jung sitzt vor der schwarzen Wand in einem käfigähnlichen Kasten mit einem altmodischen Tonbandgerät und einem Metallkoffer (Bühne: Anja Rabes). Krapp sitzt lange still, isst dann eine Banane. Die hält Jung wie einen Penis im Schoß: Das stückweise Abbrechen gleicht der Selbstentmannung, die sich Krapp mit 39 verordnet hatte: „Abschied von der Liebe.“

69 ist Krapp, da er wie jedes Jahr ein Band bespricht – und sich die Aufzeichnung von vor 30 Jahren anhört. Jung spielt ihn schlurfend, gebeugt, umständlich komisch, spricht stockend mit vielen Pausen. Immer wieder spult er zurück zur Erinnerung an jene Liebesnacht in einem Boot, doch das Leben kann er nicht zurückspulen: Er hat sich damals gegen die Liebe entschieden.

Unerbittlich heiter

Resigniert bricht er zusammen, der Käfig dreht sich, die Wand fährt hoch und enthüllt zwei großformatige Video-Ausschnitte aus Grabstelen, die Stimme einer alten Frau beschreibt die Statuen eines Paars: Er „ganz tot“, sie „ganz Leben“. Aus dem Stein lässt Handke die Frau auf die Bühne treten. „Mein Spiel jetzt“, sagt sie, fläzt sich auf den Koffer und rechnet ab mit dem „Meister des Spiels“. So jung, wie Krapp sie erinnert, locker, vital und souverän zeigt Nina Kunzendorf diese Frau. Sie hat Krapp geliebt und durchschaut, hat ihr Leben mit ihm verbracht, obwohl er sie durch sein Schweigen wie durch seine Sprache immer ausgeschlossen hat.

Während er nur für sich selbst redete, spricht sie ihn direkt an, setzt seiner Ich-Bezogenheit und Selbstbespiegelung ihr Sehen und Fühlen entgegen, und bleibt bei allem unerbittlich heiter. Die sich ständig wandelnden Videos (Stefan Bischoff) suggerieren Bilder aus dem Ehe-Alltag: Frühstückstisch, Schreibmaschine, Hemdkragen, Frauenfüße, alles in riesigen Details.

Narziss und Echo

Handke nennt seine Beckett-Replik einen „Echo“-Monolog, und bezieht sich dabei auf die griechische Nymphe Echo, die, zum Nachplappern verdammt, aus unerwiderter Liebe zum Jüngling Narziss versteinerte. Zweifellos ist Krapp ein Narziss, aber diese Frau kein Echo: Sie plappert nicht nach, sondern reflektiert, entlarvt, bezieht Position – und erklärt ihre Liebe.

„Das letzte Band“ ist Becketts persönlichstes Stück: Die Erleuchtung Krapps, Schriftsteller zu werden, hat Beckett selbst so erlebt. Und deswegen ist vieles, was Handke der Frau in den Mund legt, nicht nur auf die Figur Krapp, sondern auch auf den Dichter Beckett gemünzt. Vielleicht verneigt sich Handke sogar, wenn die Frau am Ende sagt: „Du der Hall, ich der Nachhall.“

Gabriella Lorenz

Salzburger Landestheater, bis 13.8., 19.30 Uhr, Tel.0043-662- 8045-500 und www.salzburgerfestspiele.at; ab 30. Oktober an den Münchner Kammerspielen

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