Die Wahrheit der Anderen

Harold Pinters Komödie „Die Geburtstagsfeier“ entwickelt in Thomas Langhoffs Inszenierung am Residenz Theater leider nicht die gewünschte bedrohliche Atmosphäre
von  Abendzeitung

Harold Pinters Komödie „Die Geburtstagsfeier“ entwickelt in Thomas Langhoffs Inszenierung am Residenz Theater leider nicht die gewünschte bedrohliche Atmosphäre

Das war eine schöne Party“, sagt Meg glücklich am Ende. „Und ich war die Ballkönigin!“ Da ist die Stehlampe zu Bruch gegangen, die Kartoffelchips liegen zertreten am Boden, und der einzige Gast Stanley, den die alte, verwirrte Pensionswirtin wie einen Sohn bemuttert hat, ist von den zwei ominösen fremden Herren, die die Party bei ihr veranstaltet haben, verschleppt worden. Aber das weiß Meg nicht: Den Einbruch von totalitärer Gewalt in ihre kleine Welt zwischen Tee-Plörre und verbranntem Frühstückstoast nimmt sie gar nicht wahr.

In seinem Stück „Die Geburtstagsfeier“ beschrieb Harold Pinter 1958 das leise Eindringen von Ideologie, Folter und Gehirnwäsche in eine Scheinidylle, in der die Menschen die Augen verschließen. Thomas Langhoff inszenierte die makabre Komödie des 2008 verstorbenen Nobelpreisträgers im Residenz Theater mit wunderbaren Schauspielern, aber fast ohne die bedrohliche Unheimlichkeit, die einen da beschleichen sollte. Nach zwei Stunden freundlicher Premierenbeifall.

Was ist Wahrheit?

„Es gibt keine klaren Unterschiede zwischen dem, was wirklich, und dem, was unwirklich ist, genauso wenig wie zwischen dem, was wahr, und dem, was unwahr ist. Etwas kann beides sein, wahr und unwahr.“ Das schrieb Pinter 1958 und zitierte sich damit selbst in seiner Nobelpreisrede 2005. Der Bürger habe die Verpflichtung, „die wirkliche Wahrheit unseres Lebens und unserer Gesellschaften zu bestimmen“. Und alle Figuren dieses Stücks bestimmen ihre eigene wirkliche Wahrheit, nur ist die nie kompatibel mit der der Anderen.

Auf der Guckkastenbühne vor sonnengelbem Rundhorizont versammelt Bühnenbildner Stefan Hageneier alle Grässlichkeiten der frühen 60er: vermuffte Möbel, Sammelteller, einen verstaubten Gummibaum. Cornelia Froboess als mädchenhaft schusselige Meg werkelt mit Lockenwicklern hinter ihrer Küchendurchreiche, ihr sanfter Mann Petey (Helmut Stange) entzieht sich nach der Zeitungslektüre lieber als Strandkontrolleur dem häuslichen Alltag. Die beiden sind ein wundersam leises, zartkomisches Paar in festgefahrenen Ritualen außerhalb der realen Welt. Meg konzentriert ihre nicht unerotische Fürsorge auf den Dauergast. Dieser Stanley von Robert Gallinowski hat sich als Ersatz-Sohn gut eingenistet: ein haltloser Proll mit fettigem Haar, der einer Pianisten-Karriere nachweint.

Eine Party entgleist

Woher und warum Goldberg und McCann da plötzlich auftauchen und gleich eine Party für Stanley schmeißen, das enthüllt Pinter nie, wie das meiste nicht in diesem Stück. Rätsel und Assoziationsmöglichkeiten bleiben ein Grundelement. Aber dass die Fremden gefährlich sind, wird schnell klar: Dieter Mann, der Star-Gast aus Berlin, spielt den Wortführer Goldberg mit jovialer Bösartigkeit. Er charmiert, manipuliert, wird je nach Bedarf sentimental, verführt als zynischer Lebemann die lebenshungrige Kleinstadtblondine Lulu (Nadine Germann) oder fällt pathetisch auf die Knie, um McCann auf die Linie der ominösen Organisation, für die sie arbeiten, einzuschwören.

Diesen Handlanger macht Robert Joseph Bartl zu einem grotesk-massigen Riesenbaby, unfähig zum Denken, aber bereit zum Zuschlagen. Die entgleisende Party wird für Stanley zur Gehirnwäsche: Am Tag danach hängt er als lallender Zombie und angepasster Anzugträger im Stuhl, widerstandslos bereit zum Abtransport in vermutlich keine Zukunft.

In Langhoffs Inszenierung schaffen Cornelia Froboess, Dieter Mann und Robert Gallinowski drei psychische Eigenwelten – aber die Aufführung entwickelt nur wenig Spannung. Sie ist solides, bestes Schauspieler-Handwerk, lässt aber einen Bogen und auch eine Interpretation vermissen. Da stellt sich in der Mitte sogar mal Langeweile ein – das stille Grauen ist hier nicht angekommen.

Gabriella Lorenz

Residenz Theater, 20., 21. Juni, 3., 18., 23. Juli, Tel. 2185 1940

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