Die Wärme in der Kälte

Premiere in den Kammerspielen: Orhan Pamuks »Schnee«, inszeniert von Lars-Ole Walburg, wird am Samstag, in den Kammerspielen uraufgeführt.
von  Abendzeitung

Premiere in den Kammerspielen: Orhan Pamuks »Schnee«, inszeniert von Lars-Ole Walburg, wird am Samstag, in den Kammerspielen uraufgeführt.

Eine Noir-Geschichte, ganz in Weiß: Eine Serie von Selbstmorden junger Frauen erschüttert die ostanatolische Stadt Kars, Geburtsort des Dichters Ka, der in die Heimat zurückkehrt, um die Umstände der Suizide zu recherchieren – und seine Jugendliebe Ipek wieder zu treffen. Unverhofft wird er Zeuge eines Militärputsches, Flucht zwecklos: Die Stadt ist für drei Tage völlig eingeschneit. Die Bühnenadaption von Orhan Pamuks Roman „Schnee“, inszeniert von Lars-Ole Walburg, wird am Samstag, in den Kammerspielen uraufgeführt (19.30 Uhr).

AZ: Herr Walburg, Pamuks Roman ist eine wilde Mischung aus Märchen, Krimi, politischer Fabel. Was hat Sie am meisten interessiert?

LARS-OLE WALBURG: Zunächst interessierte mich die Gegenüberstellung von Westen und Ostanatolien und dachte, alles dreht sich um den Glauben. Dann habe ich gemerkt, dass das alles unheimlich durchschnittliche Figuren sind, die eines eint: Sie kämpfen alle um ein bisschen Glück. Ka und Ipek sind so ein Midlife-Crises-Paar um die Vierzig, die versuchen, noch einen Zipfel Glück zu erhaschen.

Im Roman wird das Glück, das man alleine erfährt, dem Glück in der Gemeinschaft gegenüber gestellt.

Ka ist ein einsamer Outlaw, der sich gerne in dem ihm fremd gewordenen Glauben verankern würde. Ich kann diese Sehnsucht nachvollziehen: Ich habe Anfang der 90er Jahre selbst mit der Idee geliebäugelt, mich einer Glaubensgemeinschaft anzuschließen. Heute bin ich froh, dass das nicht geklappt hat.

Kars entpuppt sich auch als Ort der Inspiration: Ka schreibt dort viele Gedichte.

Bei seiner Rückkehr in die Heimat entdeckt er vieles wieder und bringt den Mut auf, sich in die verschiedensten Gefühle zu begeben, die dieser Ort in ihm weckt. Kars steht für Glaube, Kindheit, Schnee, Lyrik. Daraus entstehen diese kreativen Momente.

Als er wieder schreiben kann, glaubt er auch an Allah.

Er verspürt eine Form von Nähe zu Allah, aber nicht mehr. Als Kind ist er ja auch nicht religiös aufgewachsen, sondern in einem Istanbuler Künstlerviertel. Ich bin zur Recherche in die Türkei gefahren: Das Viertel Beyoglu, wo Pamuk bis vor kurzem auch gelebt hat, ist sehr westlich. Fährt man zwanzig Minuten weiter, ist man in einem islamistischen Stadtteil, wo eine Frau beschimpft wird, wenn sie unverschleiert geht.

Kas Kreativität rührt auch von seiner Liebe zu Ipek. Woher nehmen Sie Ihre Inspiration?

Das Buch ist eine starke Inspirationsquelle. Und ich habe ein tolles Team, einen ganz tollen Hauptdarsteller. Ich hatte Angst, dass man bei dem Thema gemeinsam in ein depressives Loch fällt, aber Bernd Moss bringt eine Leichtigkeit mit, die der Inszenierung gut tut.

Was ist für Sie Glück?

Meine Familie. Aber Glück kann man ja eigentlich nicht fassen. Deshalb ist Schnee auch so toll: Jeder Mensch erinnert sich an eine Begebenheit im Schnee, wie dieses Abgedämpfte der Stimmen und Geräusche auf einmal ein Gefühl hervorgezaubert hat, wie man es vielleicht im Mutterleib erlebt hat. Es gibt im Londoner Natural History Museum einen Raum, in dem man hören kann, was ein Fötus im Mutterleib hört: Da donnert der Puls wie eine U-Bahn an einem vorbei, da klopft das Herz wie eine Glocke. Aber in der Vorstellung hat das ganz viel mit einem Gefühl der Geborgenheit zu tun, das einem auch der Schnee gibt. Michael Stadler

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