Die Unbehausten
Erfolgreich bestandene Feuerprobe: Der neue Intendant Johan Simons zeigt „Hotel Savoy“ nach Joseph Rothin den Kammerspielen
Der Beifallssturm war überwältigend: Das Publikum feierte den neuen Kammerspiele-Intendanten Johan Simons für seine Einstands-Inszenierung „Hotel Savoy“ im neuen Raum Spielhalle. Nach dem Roman von Joseph Roth entwirft Simons das Bild einer untergehenden Welt und setzt ästhetisch einen Neubeginn.
Bühnenbildner Bert Neumann gestaltet den Raum im Neuen Haus als Wartesaal und Durchgangsort für die desillusionierten Menschen im zerstörten Europa nach dem Ersten Weltkrieg. Das Publikum sitzt auf Tribünen an den Längsseiten eines gefliesten Korridors. Ein Kristall-Lüster zeugt von verblichenem Glanz. Die Bodenkacheln sind zum Teil zerbrochen und liegen auf Sand. Alles sieht nach Baustelle aus. Eine Treppe aus rohen Brettern führt nach unten. An einem Ende des Ganges schimmert noch eine Spiegelnische zwischen Backstein-Mauern. Am anderen Ende öffnet sich die Lifttür zur blau ausgeschlagenen Striptease-Bar.
In diesem Hotel Savoy strandet der Kriegsheimkehrer Gabriel Dan nach russischer Gefangenschaft. Mit langen, schweren Schritten stapft Steven Scharf in Unterhosen und Stiefeln über den Flur wie durch Schlamm. Trocken erzählt er sein Schicksal, beschreibt die Stadt, in der er sich von Verwandten Geld erhofft.
Epische Zwiegespräche
Koen Tachelet, der schon viele Prosawerke (auch Roths Roman „Hiob“) für Simons eingerichtet hat, mischt in seiner Bühnenfassung episches Erzählen und Dialoge. Es dauert eine Weile, bis das als Spielhaltung einen Sog entwickelt. Der undurchsichtige alte Liftboy (Pierre Bokma), hier eine Art Spielmacher, erklärt Gabriel das Hotel: Unten wohnen die Reichen, oben die Armen, die nicht bezahlen können. Wie die Varieté-Tänzerin Stasia (Katja Herbers mit viel Federputz in Kostümen von Nina von Mechow), in die sich Gabriel sofort verliebt. Ihr Clown-Kollege Santschin liegt im Sterben: Wunderbar zeigt Stephan Bissmeier seine Zirkusnummer mit seinem imaginären Esel.
Von den Wohlhabenden des trostlosen Industriestädtchens ist nichts zu erwarten. Auch Gabriels reicher Onkel (Stefan Merki), oder der Fabrikant Neuner (Bissmeier) hoffen auf die Ankunft des amerikanischen Milliardärs Bloomfield (André Jung). In einer Comic-Nummer spielt Brigitte Hobmeier alle kleinen Bittsteller nacheinander als zirkusreife Karikaturen (sie verkörpert auch Santschins Ballett tanzende Frau und die versoffene Varieté-Wirtin). Alle Hoffnungen werden enttäuscht: Bloomfield will nur das Grab seines Vaters besuchen.
Die Vorahnung des Umbruchs bricht mit Gabriels Kriegskamerad Zwonomir ein, der für die Revolution agitiert. Wolfgang Pregler spielt ein unbändig rasendes Gewaltpaket, dessen Zuneigung leicht mit Aggression zu verwechseln ist. Er glaubt an eine Zukunft, der Einzelgänger und Skeptiker Gabriel nicht. Bis zum Schluss kann er Stasia seine Liebe nicht erklären und verliert sie an den Schnösel Alexander (Nico Holonics). Während draußen der Aufstand tobt, lässt Gabriel ein Streichholz nach dem andern zwischen den Fingern ausbrennen – selbst ein vom Krieg Ausgebrannter.
Die Zweieinhalb-Stunden-Aufführung hat einige Längen, auch das Licht blendet oft störend. Aber sie punktet mit vielen genauen Details und einem virtuosen Ensemble, allen voran Steven Scharf.
Gabriella Lorenz
Münchner Kammerspiele, Spielhalle, Sa, bis Dezember. Karten: Tel. 233 966 00