Die üblichen Verdächtigen

Frenetisch gefeiert - und doch eine verpasste Chance: Zum Auftakt der BR-Reihe musica viva unter ihrem neuen Leiter Winrich Hopp dirigierte Pierre Boulez sein Hauptwerk „Pli selon pli”
Robert Braunmüller |
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Natürlich muss man Pierre Boulez nach München holen, wenn er mit seinem Hauptwerk „Pli selon pli” durch Europa tourt. Als Auftakt zur Ära Winrich Hopp bei der musica viva ist es allerdings ein Déjà-vu: Als Boulez 2005 und 2001 zuletzt eigene Werke im Prinzregententheater dirigierte, war das ebenfalls eine historische Rückversicherung für die damals noch im Aufbruch befindliche Avantgarde-Konzertreihe unter Udo Zimmermann.

Und wieder einmal wurde eine Chance verpasst. Der Abend war nur spärlich plakatiert und es kamen nur die üblichen Verdächtigen. Mittlerweile gibt es zwar, immerhin, Einführungen. Aber Boulez hätte vor der Aufführung durchaus ein paar Sätze sagen und beispielsweise die Kürzung des letzten Satzes erläutern dürfen.

Und angesichts von nur 70 Minuten Musik wäre auch die Wiederholung einer Nummer nach einer Erläuterung drin gewesen. Ohne eine Prise sinnlicher Vermittlung wird die musica viva eine hochnäsige Veranstaltung bleiben, die ausschließlich zu bereits Bekehrten predigt.

Unmittelbare Sinnlichkeit

Dabei würde das mittlerweile ein halbes Jahrhundert alte „Pli selon pli” auch normale Konzertgänger faszinieren, wenn es ihnen vorgesetzt würde. Die Musik spiegelt zwar sehr hermetische Gedichte von Stéphane Mallarmé, knüpft aber hörbar am französischen Impressionismus an. Virtuoser Koloraturgesang (Barbara Hannigan) verbindet sich mit einer hell funkelnden Musik, die sehr elegant klangliche Gegensätze auslotet und von Harfen, Klavier und Schlaginstrumenten bestimmt wird.

Die mit dem Pariser Ensemble Intercontemporain vereinigte Lucerne Festival Academy betonte die unmittelbare Sinnlichkeit der Musik. Der 86-jährige Boulez wurde frenetisch gefeiert. Ein Erfolg, gewiss. Aber die Mehrheit der Besucher war älter als das Stück und die jugendlichen Musiker.

Im nächsten Konzert gibt es neben Cage auch Luciano Berios „Sinfonia” und „The Unanswered Question" von Charles Ives. Diese Stücke werden selbst von den konservativen Philharmoniker-Abonnenten heftig beklatscht. Historische Rückversicherungen sind ehrenwert, aber echte Neuanfänge sehen anders aus.

Das nächste Konzert der musica viva findet am 28. Oktober 2012 im Herkulessaal in der Residenz, Residenzstraße 1 statt. Kartenreservierung unter Tel. 0180 / 54 81 81 81

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