Die Träume der anderen

Ein Bravo für die Bühnenarbeiter: Ramin Gray inszenierte in Salzburg „Harper Regan“ mit Martina Gedeck und Manfred Zapatka
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Ein Bravo für die Bühnenarbeiter: Ramin Gray inszenierte in Salzburg „Harper Regan“ mit Martina Gedeck und Manfred Zapatka

Das, was im Dunkeln, im Verborgenen arbeitet, ans Licht zu bringen, macht mitunter die Spannung im Theater aus. Wohl deshalb entfaltet Simon Stephens das dunkle Familiengeheimnis in seinem Stück „Harper Regan" Schritt für Schritt. Und vielleicht deshalb lässt Ramin Gray in seiner Inszenierung im Salzburger Landestheater die Bühnenarbeiter ihren Job vor aller Augen machen.

Man darf zuschauen, wie sie Tische, Regale, Stellwände auf- und abbauen – aus einem Büro wird eine Brücke wird eine Küche –, und bleibt dran, weil diese Umbauten nach ihrer eigenen Choreografie verlaufen und jeder diese mit der Eleganz des Profis erfüllt. Ein Genuss beim Zuschauen, ein Bravo für die Bühnenarbeiter!

Harpers Welt ist ein Londoner Vorort, und als sie erfährt, dass ihr Vater in einem Krankenhaus in Stockport einen Schock erlitten hat, erweitert sie ihren Aktionsradius. Bei Ramin Gray kommt sie jedoch nicht recht vom Fleck, wandelt in einer zusammengebastelten Welt zwischen Traum und Albtraum: Harpers Mann wurde, weil er kleine Mädchen fotografiert hat, der Pädophilie verdächtigt und verlor seinen Job. Deswegen wohnen sie in dem Kaff, deswegen muss sie den Lebensunterhalt als Sekretärin verdienen, doch Harper zieht aus zum Flirt mit dem Verbotenen, trifft gar einen Mann im Hotel für einen Seitensprung. Martina Gedeck stackst unsicher durch die fabelhaften Szenerien von Jeremy Herbert und trifft Menschen, die sich ähneln, weil jeder Darsteller, außer ihr, mindestens zwei Rollen spielt.

Manfred Zapatkas süffisanter Charme

Gray hat die Positionen auf diesem Karussell clever verteilt und Kleinigkeiten dazugedichtet. Eine erotische Spannung lässt er entstehen zwischen Harper und ihrem Boss, dem Manfred Zapatka süffisanten Charme verleiht. Der Chef steht unter Druck und gibt ihn gerne weiter. Eine halbe Minute lässt er vergehen, zählt und dirigiert die Sekunden, während Harper daneben steht. Später spielt Zapatka den neuen Mann von Harpers Mutter und trinkt sekundenlang sein Wasserglas leer, die anderen schauen zu.

Die Männer haben die Macht über die Zeit, und obwohl es in Stephens Stück um eine Frau geht, die sich der Kontrolle entzieht und nach einem eigenen Takt sucht, bleibt es in Grays Inszenierung dabei, dass ihr Umfeld die Show macht. Darunter eine Bekanntschaft auf der Brücke, von Aljoscha Zinflou mit einem Hauch britischer Coolness gespielt. Oder die Mutter von Marlen Diekhoff, eine Frau, die sich mit dem Scheitern und dem Machismo der Männer abgefunden hat. Oder Harpers Tochter, aus der Marie Leuenberger voller Energie ein Mädchen macht, das als einzige eines Tages den Ausstieg aus dem Familiendilemma schaffen könnte.

Die Wut fehlt

Martina Gedeck hingegen scheint leider ihre Rolle nicht gefunden zu haben. Diese Harper müsste doch von Wut befeuert sein, müsste mit sich und den anderen kämpfen, doch es gibt hier, wenn überhaupt, nur kleine Implosionen. Kein Wunder, dass die Rückkehr ins Bürgerliche ähnlich glatt läuft wie die Umbauten der Bühnenarbeiter: Harper arbeitet im Garten, ihr Mann setzt sich zum Frühstück und hört sich an, was sie in den letzten zwei Tagen alles getan hat. Danach entwickelt er in einem bewegenden Moment die Utopie einer auch im Alter funktionierenden Ehe. Die Gebrochenheit des Gatten macht Samuel Weiss eindringlich spürbar. Und wenn sich Harpers Tochter zuletzt die Augen reibt, scheint es fast, dass nicht Harper, sondern die anderen die ganze Zeit geträumt haben.

Michael Stadler

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