Die "taz" wird 30: Nicht mehr jugendlich, aber auch noch nicht spießig
BERLIN - Mit einem Relaunch, einer neuen Wochenendausgabe und einem großen Kongress feiert die "tageszeitung" ihren 30.Geburtstag: Längst befindet sich die Zeitung, die an der Berliner Rudi-Dutschke-Straße gemacht wird, auf dem Weg vom alternativen Spontiblättchen zum Organ für Öko-Bürger. Nicht allen gefällt das.
Linkes Chaos sieht anders aus: Allenfalls die Mixtur aus Zigaretten, Tabak und Kaffee auf den Tischen erinnert bei der "taz"-Redaktionskonferenz am Montagmorgen an gute alte WG-Zeiten. Inhaltlich entscheidet die Runde zackzack und professionell. "Was passiert, wenn der Dalai stirbt?", fragt ein Redakteure mit süddeutschem Zungenschlag und kündigt an, für einen Tibet-Schwerpunkt "mal unsere Korrespondenten in die Spur zu schicken". Es folgen knappe Debatten über das Kurzarbeitergeld und die NPD - und die Chefin teilt mit, dass "der Boris ohne Wohnung dasteht". Die Redaktion solle dem "taz"-Kollegen doch bitte ein Bett in Berlin besorgen.
Bascha Mika ist seit 1999 Chefredakteurin der siebtgrössten überregionalen Tageszeitung im Land, eine der ganz wenigen Frauen ihrer Zunft. Als eine Art Mutter der Kommune moderiert die 55-Jährige die Redakteure, die für 2000 Euro brutto schuften. Ihre Stimme klingt sanft, kann aber bei Bedarf ins Sarkastisch-Schneidende kippen. Muss sie wohl auch. Denn so lange wie Mika hat noch kein Chef bei der "taz" überlebt.
Die Konferenz ist mittlerweile bei den bunten Themen angekommen. "Da ist heute das Urteil in diesem Helg-Sgarbi-Prozess in München", sagt einer, "das müssen wir nicht gross machen." Der Chef vom Dienst wiegt das Haupt: "Nur ne Kurzmeldung?" Schliesslich einigt man sich: "Wir machen Sgarbi auf taz2." Das ist der hintere, unterhaltungsorientierte Teil im Blatt.
"Uns fehlt das strategische Zentrum"
Die Episode zeigt den gewagten Spagat zwischen hochpolitischem Ernst und gehobener Unterhaltung, den die linksalternative Zeitung täglich versucht. Der "taz" gehe es derzeit ähnlich wie den Grünen, mäkelt ein Insider: "Uns fehlt das strategische Zentrum." 30 Jahre alt wird das Blatt im April - und befindet sich ebenso in einer Identitätskrise wie viele Menschen rund um den Dreissigsten. Man fühlt sich nicht mehr jugendlich, aber spießig will man auch noch nicht sein.
So witzig, locker und respektlos manche Zeile daherkommt, so verbissen wird intern gerungen. Das lesenswerte Dossier über "Neuen Sexismus", das man zum Frauentag ins Blatt gehoben hatte, wird in der Konferenz erbarmungslos seziert. Lob klingt so: "Das Interview hat Heide solide geführt." Kritik aber überwiegt: Das Problem der "taz" sei, dass "wir mehr mit, weniger über Menschen reden sollten".
Da das Blatt mit seiner Auflage von 54 000 Exemplaren notorisch anzeigenarm ist, lebt es stets von der Hand in den Mund. Hält sich mit selbst vertriebenen Produkten wie "tazpresso" und einem "Globalisierungsatlas" über Wasser, aber vor allem mit dem Abo- und Kioskverkauf. Um den anzukurbeln, erscheint die "taz" zum Geburtstag am 18. April nicht nur mit runderneuertem Layout, sondern erstmals als Wochenendausgabe "Sonntaz". Zwölf Seiten Aktuelles plus 20 Seiten Essays, Reportagen und Geschichten.
Mit Rubriken wie "Alltag und Konsum" will die "taz" vorausschauen auf die nächste Woche: "Wir wollen ein Wochenendgefühl bedienen", sagt Vizechef Peter Unfried, der kreative Kopf der "taz". Der Mittvierziger im Schlabberlook ist schon habituell der Gegenpol zur eleganten, hochhackig daherkommenden Mika. Unfried werfen Kritiker vor, die "taz" zu entpolitisieren.
taz-Kongress zwischen "Schlesiertreffen" und Youtube-Livestreaming
Nichts liege ihm ferner, beteuert Unfried. Vielmehr wolle er "bürgerlichen Lebensstil mit politischen Inhalten verknüpfen". Über Körper schreiben, ohne in platte Wellness-Berichterstattung zu verfallen. Seine Idealvorstellung ist, dass der Öko-Bürger am Samstag nach dem Einkauf im Bio-Supermarkt am Kiosk lässig zur "Sonntaz" greift.
Die "taz"-Familie - eine Genossenschaft, in der 8500 Mitglieder Kapital angelegt haben - feiert sich natürlich auch mit einem grossen Polit-Kongress: "Das hat was von Schlesiertreffen", sagt Organisator Jan Feddersen voller Selbstironie. Gewiss sei auch Christian Ströbele mit dabei, "das gute radikal-altgrüne Gewissen, unsere Hildegard Hamm-Brücher". Die jungen Leute dagegen, seufzt Feddersen, "sind heute nicht mehr so geborgen in grossen Erzählungen".
Auch die "politische Geselligkeit" funktioniere heute anders: Also gibt's vom Kongress Youtube-Livestreaming, Blogs und Public Viewing. Ob die Internet-Generation das annimmt, wissen sie auch noch nicht so genau im Kreuzberger Zeitungshaus an der Strasse, die seit 2008 nach Rudi Dutschke benannt ist. Eines aber weiss "taz"-Urgestein Feddersen: "Die Lust am Untergang existiert heute einfach nicht mehr."
Markus Jox
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