Die Stadt, der Müll, der Tod

Das Festival der Medien-Exzesse: Alex Baldwin schwebt in Cannes als Stimme ein, die Kidman will Geld
von  Adrian Prechtel

Wie nah kommt man in Cannes an die Stars ran? Das hängt vor allem von der Interessenlage der Produzenten ab. Jeffrey Katzenberg, der Big Boss von Dreamworx, hat Interesse, dass sein noch unfertiger 3D-Animationsfilm „Die Wächter des Lichts” schon vor dem Weltstart im November ins Gespräch kommt. Also hat er Alec Baldwin samt Yogatrainer eingeflogen, weil er die Synchronstimme des Weihnachtsmannes im Film ist. 15 Minuten des Films werden im Kino des Edel-Appartmenthotels Miramar gezeigt, und Baldwin darf entspannt mit Journalisten plaudern bei Kaffee und Croissants – es ist 8.30 Uhr morgens, denn Zeit ist kostbar für Journalisten, die drei Filme am Tag sehen und noch Pressekonferenzen besuchen.

Da ist die Stimmung schon eine andere, wenn gut hundert Korrespondenten still in engen Stuhlreihen sitzen. Aber Bill Murray nutzt sie für seine optische Zirkusnummer im hässlich-bunten Karo-Anzug mit kleinkariertem Hemd darunter. Tolldreist exklusiv treibt es dagegen Nicole Kidman. Für 650 Euro hätte man sich für ein Interview im „kleinen Kreis” akkreditieren sollen, die deutschen Journalisten haben diese Frechheit bisher boykottiert.

Französinnen dagegen sind zwar Diven, aber maßvoll: Marion Cotillard hat Leinwand-Applaus bekommen für eine packende Darstellung: Jacques Audiard hat seinen französischen Wettbewerbsbeitrag „Rost und Knochen” gleich zu Beginn vorgeführt. Der Film spielt auch am Strand von Cannes und einem „Seaworld” bei der Nobelhalbinsel Cap Antibes. Hier gibt die Ex-Piaf Cotillard eine selbstbewusste Killerwal-Trainerin – bis ihr die Unterschenkel abgebissen werden. Sie erinnert sich an einen Disco-Türsteher, und es beginnt ein Tauziehen um die Frage, wie weit man das verantwortungslose Tier im Manne zähmen will, ohne die Faszination seiner Stärke abzuwürgen.

Es ist ein radikaler Film geworden - nicht nur wegen der Sexszenen mit einer schönen Frau mit Beinstümpfen, sondern auch wegen illegaler Faustkämpfe, die hart wie in „Fight Club” sind.
Nichts für schwache Nerven ist auch der Film „Müll im Garten Eden” vom international geliebten Migrations-Deutschen Fatih Akin: ein guter, konventioneller Dokumentarfilm über ein türkisches Dorf an der Schwarzmeerküste, das eine Müllkippe für 44 Städte und Dörfer oberhalb seiner Teeanbau-Gärten hingeknallt bekommt, protestiert, aber in Gestank und verseuchtem Wasser versinkt. Die Langzeitstudie von 2007 bis heute zeigt eine selbstbewusste Bevölkerung, mitfühlend porträtiert – aber auch mit aufklärerischem, rechtsstaatlichem Blick.

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