Die Stabi ist ein Schatzhaus

Dorothea Sommer, die neue Generaldirektorin der Bayerischen Staatsbibliothek, spricht über das Bewahren eines immensen Wissensspeichers, Hackerangriffe und den Sprung in die Cloud
Christa Sigg |
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Die AZ hat mit der neuen Stabi-Generaldirektorin Dorothea Sommer gesprochen. Die Anglistin und Bibliotheksmanagerin, Jahrgang 1962, hat in Halle und im walisischen Aberystwyth studiert. Nach Stationen an der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, wechselte sie 2015 an die Bayerische Staatbibliothek.
M. McKee BSB 5 Die AZ hat mit der neuen Stabi-Generaldirektorin Dorothea Sommer gesprochen. Die Anglistin und Bibliotheksmanagerin, Jahrgang 1962, hat in Halle und im walisischen Aberystwyth studiert. Nach Stationen an der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, wechselte sie 2015 an die Bayerische Staatbibliothek.
Friedrich von Gärtner ist mit der großen Prachttreppe ein Coup gelungen. Sie führt hinauf zu den Lesesälen - und zu den Ausstellungen der Stabi.
H. R. Schulz 5 Friedrich von Gärtner ist mit der großen Prachttreppe ein Coup gelungen. Sie führt hinauf zu den Lesesälen - und zu den Ausstellungen der Stabi.
Die Bayerische Staatsbibliothek, hier der allgemeine Lesesaal, ist inzwischen offen für alle Bürger des Freistaats.
Hans-Rudolf Schulz BSB 5 Die Bayerische Staatsbibliothek, hier der allgemeine Lesesaal, ist inzwischen offen für alle Bürger des Freistaats.
Für über eine Million Euro wurde Hokusais berühmte Woge 2023 angekauft, jetzt ist dieser Farbholzschnitt der Mittelpunkt einer großartigen Ausstellung.
Bayerische Staatsbibliothek 5 Für über eine Million Euro wurde Hokusais berühmte Woge 2023 angekauft, jetzt ist dieser Farbholzschnitt der Mittelpunkt einer großartigen Ausstellung.
Im Scanner sieht man den sogenannten Mielich-Codex von 1559, einen der wertvollsten Schätze der Stabi. Er ist komplett digital einsehbar.
Hans-Rudolf Schulz BSB 5 Im Scanner sieht man den sogenannten Mielich-Codex von 1559, einen der wertvollsten Schätze der Stabi. Er ist komplett digital einsehbar.

Besser kann man nicht starten. Die Bayerische Staatsbibliothek (BSB) erlebt gerade einen Hype - alle wollen die Woge des Hokusai und die Japanischen Farbholzschnitten sehen. Dorothea Sommer, ab dem 1. Mai 2025 neue Generaldirektorin, ist also guter Dinge. Sie hat ja auch einiges vor sich, die Digitalisierung und das mächtig angewachsene Bild- und Fotoarchiv sind nur zwei Brocken auf einem Bücherdampfer, den fast 900 Mitarbeitende am Laufen halten.

AZ: Frau Sommer, in der Bayerischen Staatsbibliothek sind zuletzt der Nachlass von Eugen Roth, 231 äthiopische Handschriften und ein Autograf des Komponisten Hugo Distler gelandet. Vom millionenschweren Ankauf der Woge Hokusais ganz zu schweigen.

DOROTHEA SOMMER: Das sind natürlich Spitzenstücke, aber sie zeigen, dass unser Sammeln die unterschiedlichsten Medien betrifft, also längst nicht nur Bücher, und durchaus auch Wertvolles und Unikales.

Könnte ein schlüpfriger Trivialschmöker bei Ihnen landen?

Auch das, wir sind die Archivbibliothek des Freistaats und sammeln sämtliche Verlagspublikationen aus Bayern. Das ist unsere gesetzlich verankerte Aufgabe.

Jedes Jahr kommen über 100.000 neue Bücher ans Haus

Man fragt sich tatsächlich, wo das alles aufbewahrt wird.

Oh ja, wir haben einen jährlichen Zugang von 100.000 bis 130.000 gedruckten Büchern. Platzkapazitäten langfristig sicherzustellen, gehört deshalb zu den besonders wichtigen Aufgaben der Direktion. Das sind umfangreiche Investitionen, und es ist gar nicht einfach, an einem Standort wie München den entsprechenden Raum zu bekommen. Neben einer großen Speicherbibliothek haben wir noch einige Außenmagazine.

Wo liegen die Sammlungsschwerpunkte?

Als Universalbibliothek sammeln wir möglichst breit, das heißt: über die meisten Fachgebiete der Geisteswissenschaften hinweg in allen Sprachen und auch mit einer entsprechenden Tiefe.

Mit welchen anderen Bibliotheken kann man die Bayerische Staatsbibliothek vergleichen?

Was die historischen Bestände anbelangt, sind wir sicher mit der Bibliothèque national de France oder der British Library in London vergleichbar, auch mit der Biblioteca Vaticana. Die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt und Leipzig hat zwar durch den Zugang der deutschen Verlagsproduktion, der Pflichtliteratur, sehr umfangreiche Bestände, aber wenn man die Gesamtheit aller Wissensgebiete, ihre Geschichte und verschiedenen Sprachen betrachtet, dann ist die Bayerische Staatsbibliothek die größte Universalbibliothek in Deutschland.

Jeder Bürger kann die Bibliothek nutzen

Muss man für einen Bibliotheksausweis noch ein Forschungsanliegen nachweisen?

Nein, jeder Bürger des Freistaats kann sich anmelden - und auch aus der gesamten Bundesrepublik und aus dem Ausland. Die Zulassung ist über die Jahre wesentlich liberaler geworden.

Ihre analogen Bestände werden seit Jahren digitalisiert. Wie weit sind Sie?

Sommer: Von ungefähr 38 Millionen Medien - 11 Millionen davon sind Bücher - haben wir fast 5 Millionen digitalisiert. Seit kurzem haben wir auch mit der Digitalisierung der 15 Millionen Bilder des "Stern"-Fotoarchivs begonnen. Das ist eine relativ neue Aufgabe: Wir wollen 5 Millionen Bilder bis 2029 zur Verfügung stellen.

Dann hat die Bildersammlung an Bedeutung gewonnen.

Tatsächlich haben wir mit 19,4 Millionen Fotos mittlerweile das umfangreichste Bildarchiv in öffentlicher Hand. Wir betrachten es auch als Ergänzung der zeitgeschichtlichen Sammlungen. Es geht weniger um die künstlerische als die zeithistorische Fotografie. Dafür steht gerade das "Stern"-Archiv.

Sie arbeiten seit 1990 in Bibliotheken, wie haben sich diese Wissensspeicher durch den medialen Wandel verändert?

Früher begriff man die Bibliothek eher im lokalen Umfeld, auch die Einbettung in eine Kulturlandschaft hat eine deutlich größere Rolle gespielt. Durch das Internet sind die Bibliotheken ubiquitär, das heißt, überall sichtbar, das hat die Vernetzung der Bibliotheken untereinander stark befördert. Über Kataloge wissen wir relativ gut, wo welche Bestände vorhanden sind, wie viele Exemplare es gibt. Jetzt recherchieren und forschen Sie in ganz anderen Dimensionen und Geschwindigkeiten.

Diesen Service für die Forschung gibt es an keiner anderen deutschen Bibliothek

Was muss eine Forschungsbibliothek heute leisten und sammeln? Sie können nicht wissen, was relevant wird.

Man sollte möglichst breit vorausschauend sammeln und natürlich auch wissenschaftlich orientiert. Dann sollten die gedruckten wie die digitalen Bestände in den richtigen Umgebungen und digitalen Portalen möglichst kontextualisiert zur Verfügung stehen. Wichtig ist auch, dass Wissenschaftler die Inhalte leicht herunterladen und in ihrem Forschungsgebiet damit arbeiten können. Wir bieten mit "Daten für die Forschung" (DaFo) einen kostenlosen Service, den es an keiner anderen deutschen Bibliothek in diesem Umfang momentan so gibt.

Spielt die Künstliche Intelligenz bei der Verschlagwortung schon eine Rolle?

Sie wird eine zunehmende Rolle spielen. Momentan setzen wir sie bei der Bildähnlichkeitssuche in "bavarikon", dem Online-Portal des Freistaats Bayern zur Präsentation von Kunst-, Kultur- und Wissensschätzen, ein. Bei der Verschlagwortung haben wir die KI noch nicht im Einsatz, wobei intensiv darüber diskutiert wird.

Auf die KI verlassen? Das ist noch zu riskant

Ist das noch zu riskant?

Ja, wir haben den Anspruch, qualitätsgesicherte Daten anzubieten. Ungenauigkeiten oder Fehler wären in einem solchen System nicht nur peinlich, sondern desaströs.

Ihr Vorgänger Klaus Ceynowa war ein Cyber- und Digitalisierungsfreak, der mit Google einen Millionen-Deal eingefädelt hat. Wie stehen Sie dazu?

Als ich nach München kam, hatte ich bereits in Halle die damals zweitgrößte digitale Bibliothek im deutschen Bibliothekswesen mit auf die Beine gestellt. Die Digitalisierung ist also durchaus auch mein Thema. Hier in München geht die Kooperation mit Google, wir haben den urheberrechtsfreien Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek zum wesentlichen Teil digitalisiert und bewegen uns jetzt weiter ins 19. und 20. Jahrhundert hinein. Die zehn regionalen staatlichen Bibliotheken sind mit ihren historischen Beständen in das Google-Programm einbezogen. In diesem Jahr läuft die Digitalisierung der Bestände in der Landesbibliothek Coburg an, dann folgen die Studienbibliothek in Dillingen und die Provinzialbibliothek Amberg mit bedeutenden Klosterbeständen.

Qualitätssprung durch die Kooperation mit Google

Die Kooperation mit Google wurde auch kritisiert.

Dennoch war das eine klare und gute strategische Entscheidung. Wenn Sie sich den Digitalisierungs-Output der anderen deutschen Bibliotheken ansehen, hat uns das Google-Projekt deutlich abgesetzt. Wir wollen uns nichts vormachen, man muss auch in öffentlichen Bibliotheken wirtschaftlich und effizient arbeiten. Der Forschung stehen sämtliche Digitalisate frei zur Verfügung. Sie können nicht nur innerhalb eines Texts, sondern über verschiedene Texte, ja sogar Sammlungen hinweg bis auf die Ebene eines einzelnen Wortes suchen. Das ist eine Qualität, die andere Bibliotheken noch nicht in diesem Umfang aufweisen können.

Wie sichert man eine so große Bibliothek gegen Virenangriffe und Cyberkriminalität?

Das ist eine der drängendsten Aufgaben überhaupt. Der Cyber-Angriff auf die British Library hat die Bibliothekswelt natürlich alarmiert. Über 30 Millionen Einträge in den Katalogen waren auf einmal nicht mehr online abrufbar, und es wird wohl noch lange Zeit dauern, bis man in London wieder auf den Stand vor der Attacke kommt. Eine absolute Sicherheit gibt es nicht, aber man kann einiges tun, um sich zu schützen. Die Bayerische Staatsbibliothek arbeitet bereits an einem integrierten Sicherheitsmanagementsystem . 2021 haben wir bereits ein neues Bibliothekssystem eingeführt und die Überführung unseres Systems in die Cloud vorbereitet.

Spitzenobjekte durch die Jahrhunderte sichern

Worauf legen Sie an der Spitze der Bayerischen Staatsbibliothek besonderen Wert?

Von mir darf man im Wesentlichen Kontinuität und weiteren Ausbau erwarten. Ich sehe weiterhin die vielfältigen Sammlungen, als Markenkern der Bayerischen Staatsbibliothek. Genauso finde ich den Gedanken der Bewahrung sehr wichtig. Wir sind ein Schatzhaus, und es ist eine große Leistung, wenn Spitzenobjekte über die Jahrhunderte gesichert und für die Forschung, Wissenschaft, Bildung und allgemeine Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können. Deshalb ist die digitale Transformation so entscheidend.

Nach einem Tag voller Bücher: Krimis!

Was liest man privat, wenn der Tag schon von Büchern bestimmt wird?

Da bleibt nicht mehr viel Zeit, denn ich lese überwiegend Akten und Fachliteratur. Aber zur Zerstreuung darf es gerne ein guter Krimi sein. Von Philip Kerr zum Beispiel oder etwas von Ferdinand von Schirach. Biografien interessieren mich, Michelle Obama, Angela Merkel und immer auch Bücher mit historischem Bezug.

Auf dem Nachttisch einer Anglistin könnten Shakespeare-Sonette liegen.

Shakespeare ist die große Grundwahrheit, die Dramen wie die Sonette, und beides ist mir sehr nahe. Das wird ja nie alt, die Machtkonflikte, die Charakterzeichnungen finden Sie immer wieder auch heute.

Gibt es ein Leben neben der Literatur?

Ich bin sehr musikaffin und in Halle natürlich mit Händel aufgewachsen. Ich war in einer Chorklasse des Stadtsingechors der Franckeschen Stiftungen und durfte als Kind beim "Messias" mitsingen - immer zu den Händel-Festspielen das "Halleluja". Dann habe ich in Halle noch lange in einem semiprofessionellen Kammerchor gesungen.

Das ruft nach einer Fortsetzung, in München gibt es fabelhafte Chöre.

Reizen würde mich das sehr, aber ich habe ja leider nicht die Zeit dafür. Und Chorproben schwänzen geht gar nicht.

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