Die Seewölfe im Vergleich: Philosoph gegen Urviech

Für die Deutschen ist Kapitän Larsen vor allem mit Raimund Harmstorf verbunden. Jetzt setzt das ZDF den eigenen Kultfilm mit Sebastian Koch neu in Szene: Die Seewölfe im AZ-Vergleich
von  Abendzeitung

Für die Deutschen ist Kapitän Larsen vor allem mit Raimund Harmstorf verbunden. Jetzt setzt das ZDF den eigenen Kultfilm mit Sebastian Koch neu in Szene: Die Seewölfe im AZ-Vergleich

Den Zigarillo-Stummel im Mund und keinem Gesetz verpflichtet: So wurde Raimund Harmstorf († 1998) als „Seewolf“ 1971 Kult. Der Vierteiler war erst Gassenhauer, dann Klassiker. Es ist Jack Londons Geschichte von dem Literaturkritiker Humphry van Weyden, der nach einem Schiffsunglück von einem Robbenfangschiff gerettet wird und in die Welt des skrupellosen Kapitäns Wolf Larsen gerät. Damals waren es vier Teile, jetzt legt das ZDF einen „Event-Zweiteiler“ nach. Das hatte auch ProSieben vor einem Jahr versucht – doch nur zwei Millionen wollten Thomas Kretschmann sehen. Da hat das ZDF ganz andere Erwartungen und schickt den Hochkaräter Sebastian Koch („Stauffenberg“, „Das Leben der Anderen“) auf See. Die Seewölfe im AZ-Check:

Die Hauptdarsteller

Für Raimund Harmstorf war Wolf Larsen die Rolle seines Lebens. Der 31-jährige Zehnkämpfer fesselte das Publikum vor allem durch seine körperliche Präsenz. Seine junge Stimme wurde extra von einem älteren Sprecher (Kurt Ludwig) nach-synchronisiert. Sebastian Koch spielt die Figur des Wolf Larsen mit mehr Tiefgang: Man nimmt ihm die philosophisch-nachdenkliche Seite mehr ab: „Lieber in der Hölle Herr sein, als im Himmel Knecht.“ Solche Sätze wirken bei dem 47-Jährigen weniger hölzern als bei Harmstorf. Doch trotz Bart, schmutzig-schwieligen Händen und schwerer Seemanns-Joppe trifft Sebastian Koch den Seewolf vom Aussehen nicht ganz: Jack Londons Kapitän ist Däne, er beschreibt ihn als Urtyp eines Mannes, durch und durch männlich, mit massiger Nase und Augen, die ihre Farbe wie das Meer ständig wechseln. Alldem entspricht Harmstorf mehr als Koch. Der hat für die Rolle zwar wochenlang hart trainiert – trotzdem wirkt der Grimmepreisträger immer wieder ein bisschen wie die intellektuelle Ausgabe eines Urviechs.

Die Drehbücher

Der Vierteiler von 1971 verwendete Motive aus sechs London-Romanen (u. a. „Frisco Kid“, „König Alkohol“). Die Idee, dass sich der Literaturkritiker Humphry von Weyden und Wolf Larsen schon in ihrer Kindheit begegnet sind, ist beispielsweise eine Erfindung des Drehbuchautors Walter Ulbrich. Dementsprechend viele Schauplätze gibt es in der Serie: San Francisco, die japanische Küste und die Südsee.

„Ich glaube, dass Jack Londons Roman noch nie richtig verfilmt worden ist“, sagt Rikolt von Gagern, Produzent der Neuverfilmung. In dem Zweiteiler geht es vor allem um den Konflikt zwischen Wolf Larsen und seinem jüngeren Bruder Death. Sebastian Koch: „Death Larsen ist im Buch der Tod, der Wolf Larsen wie ein Schatten verfolgt und am Ende ganz real einholt. Londons Roman handelt tatsächlich vom Untergang des übermächtigen Kapitäns, der mit Beginn der industriellen Revolution durch die Dampfschifffahrt seine Existenz verliert. Haupt-Schauplatz der Neu-Produktion (Budget: rund 12 Millionen Euro) ist der 33 Meter lange Segelschoner, – mit atemberaubenden Bildern von Meer und Himmel. Sehr gelungen.

Die Kartoffel

Es ist die legendäre Szene, die Schauspieler Raimund Harmstorf selbst vorgeschlagen hatte: Ursprünglich sollte er einfach nur in die Kombüse gehen und sagen: „Na Hump, wie geht’s?“ Er schlug Regisseur Wolfgang Staudte vor, eine Kartoffel zu zerquetschen, um seine Stärke zu demonstrieren. Der Regisseur meinte zunächst nur: „Damit machst du dich ja lächerlich.“ Das Gegenteil traf ein: Die Frage, ob die Kartoffel roh oder gekocht war, beschäftigte die Nation. Harmstorf blieb sein Leben lang der Quetscher – egal, ob er Götz von Berlichingen spielte oder Professor Brinkmanns Cousin in der Schwarzwaldklinik.

In der Neuverfilmung ist von der Szene nicht mehr viel übrig. Die Engländer in der deutschen-englischen Koproduktion wollten die Kartoffel erst gar nicht, beugten sich dann aber dem deutschen Kult. Kapitän Wolf Larsen zerquetscht sie im Vorbeigehen – allerdings mit Hilfe des Schiffskochs Thomas Mugridge. Ziemlich beiläufig und damit genau richtig.

Action

Im Jahr 1971 setzte das ZDF nicht auf raffinierte Special Effects – sondern verließ sich voll auf Harmstorfs Muckis, egal, ob er fluchend auf seinen toten Steuermann einprügelt oder den schmierigen Schiffskoch Thomas Mugdrige an einem Seil über Bord gehen lässt. Das Ketchup spritzt, als ein Hai dem Koch den Fuß abbeißt. Larsen sagt nur cool: „Der Hai war nicht mit in der Rechnung. Es war – hm – sagen wir göttliche Vorsehung.“

In der Neuverfilmung fehlt die Hai-Episode. Die Szene aber, in der der Seewolf völlig grundlos auf den Matrosen Yonson noch einprügelt, als der schon am Boden liegt, hätte man dem feinsinnigen Sebastian Koch gar nicht zugetraut: der ausgezeichnete Stauffenberg-Darsteller wird zum Tier. Die schnelle Kameraführung und der Sound tun ihr Übriges.

Erotik

Harmstorf, der gerne seinen nackten Oberkörper zeigte, kommt als rücksichtsloser Herzensbrecher besser: Die spröde und vergeistigte Schriftstellerin Maud Brewster (Beatrice Cardon) fühlt sich von dem unzivilisiert männlichen Kraftprotz angezogen – er bringt die kultivierte Literatin mit Charme und Schweiß aus der Fassung.

Dagegen schrieb man Sebastian Koch eine ganz andere Maud Brewster an die Seite. Neve Campbell („Scream“, „Wild Things“) sprüht vor Erotik und Selbstbewusstsein. Und sie bezirzt den Kapitän – nicht umgekehrt.

Fazit

Die neue zweiteilige Seewolf-Version ist absolut sehenswert: Großartige Bilder und ein hervorragender Sebastian Koch. Das Bild von Wolf Larsen in den Köpfen der Menschen wird er aber nicht ändern: Raimund Harmstorf hat dem Kapitän sein Gesicht gegeben – daran kann Koch nicht rütteln.

ZDF, Sonntag, 20.15 Uhr. Zweiter Teil am Mittwoch, 20.15 Uhr

Claudia Schaffer

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