Die Schuld der Geliebten

Deutsche Vergangenheitsbewältigung als großes internationales Kino: Die US-Verfilmung von Bernhard Schlinks „Der Vorleser“ auf der Berlinale
von  Abendzeitung

Deutsche Vergangenheitsbewältigung als großes internationales Kino: Die US-Verfilmung von Bernhard Schlinks „Der Vorleser“ auf der Berlinale

Kino als Welt- und Zeitspiegel – das könnte ein Motto der 59. Berlinale sein, die mit Tom Tykwers spannendem Politthriller „The International“ um globale kriminelle Finanzsysteme eröffnet wurde. Die Berlinale gab sich schon immer politisch, wollte anfangs vor allem den Dialog zwischen Ost und West fördern. Zuletzt machten verstärkt Stars wie George Clooney mobil gegen die Kriegshetze von Ex-Präsident Bush, globalen Waffenhandel oder das Folterlager Guantánamo.

Seit 2002 hat Dieter Kosslick, integrativer Chef mit Entertainerqualität, die internationale Qualität der Berlinale gesteigert. „Wir haben hier Filme zum 20. Wende-Jubiläum, über Wirtschaftskriminalität, globale Verlierer, Hunger, Krieg, Korruption – nur nicht über den Papst“, sagte Kosslick in seiner Eröffnungsrede in gewohnt drolligem Englisch, und der Papst solle „sich erinnern, dass der Gründer seiner Family als Jewish Boy gestartet“ sei.

Die Kraft des Romans

Großes internationales Kino zum Thema deutsche Vergangenheitsbewältigung dann gleich am Freitag. Natürlich nutzt die US-Produktionsfirma das Festival als Startrampe für Stephen Daldrys Adaption von Bernhard Schlinks Bestseller „Der Vorleser“ (fünffach Oscar-nominiert, ab 26.2. im Kino), denn es ist ein idealer Berlinale-Film. Und das „beste, emotionalste Kino-Publikum der Welt“ (so Jurychefin Tilda Swinton über die Berliner) darf sich über Stargäste wie Kate Winslet und Ralph Fiennes freuen.

Die Entstehungsgeschichte dieses Films belegt den Glauben an die Kraft des Romans von Jura-Professor Bernhard Schlink, der in 40 Sprachen übersetzt wurde und als erstes deutsches Buch auf dem Spitzenplatz der Bestsellerliste der „New York Times“ landete. Talkshow-Queen und Literaturfan Oprah Winfrey hatte den Erfolg angeschoben und Miramax bereits 1996 die Filmrechte erworben.

Sensibel inszeniert

Oscar-Preisträger Anthony Minghella („Der englische Patient“) gab, wegen anderer Projekte überbeansprucht, nach zehn Jahren auf und an die ebenfalls Oscar-gekrönten britischen Kollegen Daldry (Regie) und David Hare (Script) ab. Der inzwischen verstorbenen Co-Produzenten Minghella und Sydney Pollack wird nun im Abspann gedacht. Es ist ein sensibel inszenierter, weitgehend autorentreuer und von Chris Menges wunderschön fotografierter Film geworden – mit einem bis in Nebenrollen hervorragenden Darstellerensemble. Über einen Zeitraum von 30 Jahren hinweg geht es um die Frage, wie die deutsche Nachkriegsgeneration die Schuld von Eltern und anderen geliebten Menschen während des Holocaust verkraften, wie sie damit weiterleben soll.

Der Vertreter dieser Generation ist der 15-jährige Gymnasiast Michael Berg (der eigentliche Star des Films: David Kross, bekannt aus „Krabat“), der sich 1958 in einer deutschen Kleinstadt in eine Affäre mit der viel älteren Straßenbahn-Schaffnerin Hanna Schmitz (Kate Winslet) verliert. Er ist der harschen, unvermutet zärtlichen Frau erotisch verfallen, die es genießt, von ihm Literatur vorgelesen zu bekommen.

Eines Tages ist sie verschwunden, und erst als Jurastudent findet Michael sie wieder. Als Beobachter eines Prozesses, in dem sich fünf Ex-Wärterinnen des KZ Auschwitz wegen Mordes an 300 Juden verantworten müssen. Eine von ihnen ist Hanna, als einzige gesteht sie. Sie hätten eben Befehle gehabt. Die anderen kommen mit vier Jahren Gefängnis davon, Hanna wird zu lebenslänglich verurteilt. Michael ist entsetzt, erst Jahre später erhält er die Chance, sich aus seinen Schuldgefühlen, dass er eine Mörderin geliebt hat, zu lösen und zu verzeihen.

Angie Dullinger

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