Die schönsten Kurven der Kunst

US-Altmeister Ellsworth Kelly ist in München gleich mit zwei grandiosen Ausstellungen vertreten
Christa Sigg |
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Eigentlich wäre es nicht verkehrt, erst in den Englischen Garten zu gehen. Am besten um die Mittagszeit, wenn die Sonne vom Himmel sticht. Nicht, um nochmal ein bisschen Luft zu schnappen, sondern um sich einfach ins Gras zu legen, mit der Nase ganz nah am Boden. Wer genau hinschaut, sich auf einzelne Halme, ihren Umriss und natürlich auf den Schatten konzentriert, ist fast schon im Haus der Kunst gelandet. Sogar in der Pinakothek der Moderne. Und ja, Ellsworth Kelly wäre sicher einverstanden mit dem doch etwas eigentümlichen Procedere.

Denn es beschreibt die Anfänge dieses amerikanischen Heroen der Nachkriegsmoderne und genauso sein Kunstprinzip, das jetzt gleich in zwei Münchner Ausstellungen deutlich wird: An der Prinzregentenstraße konzentriert man sich auf „Schwarz und Weiß”- Bilder, die Graphische Sammlung zeigt Kellys „Plant Paintings”, also Zeichnungen von Pflanzen.
Und Blätter, Blumen, Gräser spielen von Beginn an eine Rolle, die Großmutter öffnet seine Augen für die Schönheiten der Natur; die starke Affinität, die sich bald einstellt, lässt ihn nie mehr los. Der mittlerweile 88-jährige Künstler zeichnet immer noch Blätter, Blumen, Gräser, eine Mohnblume – „Poppy” – aus wenigen Bleistiftstrichen von 2010 ist die jüngste Arbeit in der Pinakothek, und es geht kontinuierlich weiter.

Ein Fenster wird zur Ikone

Man hat Mühe, sie stilistisch von den früheren Arbeiten zu unterscheiden, den Hyazinthen und Seealgen der späten 40er Jahre oder vom Wilden Wein und den Wasserlilien aus den 60ern. Die „Handschrift” dieser völlig eigenständigen Zeichnungen zieht sich durch die Zeiten. Wobei Kelly gerade der Handschrift entkommen, keinerlei Spuren hinterlassen wollte. Ihm ging es um „unpersönliche Beobachtungen der Form”. Nur bedingt war das eine Flucht vor dem übermächtigen Picasso und all den Zelebritäten wie Miró und Matisse, dem er schon formal ziemlich nahe kommt, Brancusi oder Arp. In seiner Zeit in Frankreich von 1948 bis 1954 lernt er sie alle kennen.

Und tatsächlich war es ein Besuch im Pariser Museé de l’Art Moderne, der ihn auf seinen Weg bringt. Dort interessiert ihn allerdings nicht die Kunst. Vielmehr fällt sein Blick auf einen Fensterrahmen. Den baut er nach, streicht ihn schwarz und montiert das Ganze auf eine weiße und graue Leinwand, fertig. Mit „Window” hat Kelly sein Credo gefunden. Jetzt hängt diese Ikone gleich im Eingangsbereich der Schwarz-Weiß-Schau im Haus der Kunst. Sie geht fast ein bisschen unter neben der „Seine”, die auf die geometrisierten Lichtreflexe ihrer Wasseroberfläche reduziert ist, und erst recht in der Fulminanz der großformatigen Werke in den folgenden Sälen.

Wie magisch klebt das Auge an Schrägen

Aufregend im doppelten Sinne sind die Kurven seiner „Shapes”, den übereinander gelegten Reliefs kann man sich kaum entziehen, wie magisch klebt das Auge an Schrägen, die ins Ungewisse zu kippen drohen – in spannungsvoller Zwiesprache mit der Wand. Die kräftigen Farben, für die Kelly bekannt ist, vermisst man nicht. Vielmehr führen die Schwarz-Weiß-Arbeiten ohne Umschweife zum Kern dieser Kunst. Und sie gehen gut einher mit den Fotografien, die im Anschluss an den Hauptraum zu schlichten wie eindringlichen Verdeutlichungen werden: in den Umrissen eines Hausdachs, dem Schatten eines dürren Pfeilers.

Irgendwann landet man dann vor einer riesigen Bodenskulptur in Form eines einfachen Blatts – „Black Curves” –, das Kelly allein fürs Haus der Kunst geschaffen hat. Und ist damit fast wieder im Englischen Garten.

Haus der Kunst: „Schwarz und Weiß”, bis 22.1., Katalog (Hatje Cantz) 39,80 Euro;
Pinakothek der Moderne: „Plant Drawings”, bis 8.1., Katalog (Schirmer/Mosel) 44 Euro

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