Die Schlangenbeschwörer
Nick Cave zeigt auch auf seinem zweiten Grinderman-Album, dass Rockmusik nicht eine Sache des Bürgertums sein darf – heute gastiert die Band in der Muffathalle
Mit seiner Band The Bad Seeds war der Australier Nick Cave eine der mythischen Figuren der 80er Jahre. Seit etlichen Jahren hat sich der Großmeister der düsteren Balladen mit seiner Band Grinderman dem Rock verschrieben – wenn auch mit rätselhaftem Ergebnis.
AZ: Mister Cave, wie würden Sie Ihre Musik beschreiben?
NICK CAVE: Ich denke, dass es uns gelungen ist, Grinderman auf eine neue Ebene zu bringen. Das neue Album ist noch böser als das erste.
Bietet Ihnen die Arbeit mit Grinderman Freiheiten, die Ihr im Rahmen der Bad Seeds nicht findet?
Na klar, gewisse Dinge, kann man zwar mit einer vierköpfigen, nicht aber mit einer achtköpfigen Band machen, weil einfach unterschiedliche Bedingungen vorherrschen. Wenn du mit vier Leuten in einen Aufzug steigst, kannst du darin ganz andere Dinge anstellen, als wenn du dir den Aufzug mit acht Leuten teilst, weil dir einfach mehr Raum zur Verfügung steht. Du könntest zum Beispiel anfangen, in dem Aufzug mit deinen Armen zu rudern. Bei den Bad Seeds kannst du nicht so einfach mit deinen Armen rudern. Du musst alles wesentlich mehr durchdenken, straffen und orchestrieren, sonst hast du am Ende nur ein heilloses Durcheinander.
Es tauchen ziemlich viele „Babys“ in den Texten auf. Etwa in dem Song „When My Baby Comes“ oder in „Evil“, was bereits mit den Zeilen „O baby, baby, baby! O my precious baby“ anfängt. Muss man ein gewisses Alter erreicht haben, um Frauen Baby nennen zu dürfen?
Nein, ich habe meine Frauen schon immer Baby genannt. Wie sollte ich sie denn sonst nennen? Wenigstens nenne ich sie nicht Bitch… Zumindest nicht häufig. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass heutzutage irgendjemand etwas dagegen haben könnte, wenn man das Wort Baby in einem Text verwendet. Das ist doch das Fundament des Rock’n’Roll. Er wurde auf der Verwendung dieser Worte errichtet.
Jedenfalls steht Grinderman für einen ziemlich lockeren Umgang mit Sexualität. Schon im Bandnamen steckt ja eine sexuelle Anspielung…
Das ist schon mehr als nur eine Anspielung. Das liegt auf der Hand. Aber es gibt zweifellos eine… ich wollte gerade von einer „gesunden“ Anerkennung von Sexualität sprechen, aber das ist vermutlich nicht das passende Wort… Wir sind gewiss offen gegenüber Sexualität. Und ich habe bemerkt, dass es Leute gibt, die ein Problem damit haben oder sich zumindest etwas unwohl dabei fühlen.
Diese Leute sind der Auffassung, das Sexualität in Ihrem Alter kein angemessenes Thema darstellt?
Nun, ich bin ein Mann, der am Anfang seiner 50er-Jahre steht. Die Dinge, über die ich auf einem Grinderman-Album singe, habe ich aus der Sicht eines 52-jährigen Mannes geschrieben. Nicht im geringsten stellen meine Songs einen Versuch dar, etwas zu schreiben, was Teenager ansprechen soll.
Das sind vermutlich auch die Gedankengänge von alten geilen Säcken…
Warum sollte sich der Rock’n’Roll, warum sollten wir uns den bourgeoisen Vorstellungen mancher Leute unterwerfen? Nur weil wir älter sind? Ganz gewiss sollte Rock’n’Roll doch auf einer bestimmten Ebene auch schändlich sein. So war es auch schon immer. Wenn die alten Blues-Leute von „Humping the chicken“ gesungen haben, kommen auch keine Bedenken auf…
Um bei diesen doppeldeutigen Begriffen zu bleiben: Wenn Sie eine Frau in dem gleichnamigen Song als „Worm Tamer“ oder auch „Snake Charmer“, als Wurmbändigerin und Schlangenbeschwörerin bezeichnen, ist das noch leicht verständlich.
Als Band greifen wir gewisse Probleme auf, in deren Nähe sich andere erst gar nicht wagen würden. Und eines dieser Themen ist, wie Leute meines Alters ihre Sexualität betrachten. Diese Dinge sind wichtig für mich. In dem Song „Worm Tamer“ geht es zum Beispiel gerade um die Verwendung der Sprache in dieser speziellen Art und Weise, die wir gerade hervorgehoben haben. In diesem Kontext geht es gewissermaßen um die Blues-Sprache und all diese Dinge. Und im Verlauf des Songs wird „Worm Tamer“ zunehmend unsinniger und geradezu lächerlich mit Begriffen wie „Serpent Wrangler“ und „Mambo Rider“. In diesem Stück kniet der Mann, der Erzähler des Songs, gewissermaßen zu Füßen der Frau. Da geht es um unsere Sexualität.
Einige Ihrer Texte klingen wirklich ziemlich surreal…
Ich habe sehr viel Text um einige dieser Songs herum geschrieben. Und dieses Material habe ich stetig überarbeitet und gekürzt. Das ist wie bei einem Film, bei dem du immer wieder die Schere ansetzt. Am Ende nimmst du dir ein paar Schnipsel, die du zusammenfügst und als Song präsentierst. Dadurch entsteht eine ausgesprochen traumhafte, abstrakte Atmosphäre. Das hält den Hörer davon ab, permanent der Geschichte des Songs folgen zu wollen. Du bemerkst ziemlich schnell, dass es da gar keinen linearen Erzählstrang gibt und beginnst die Worte, die eng mit der Musik verbunden sind, auf eine andere Art und Weise wahrzunehmen.
Michael Tschernek
Grinderman spielen heute, 11. Oktober 2010, um 20.30 Uhr in der Muffathalle (Zellstraße 4)