Die Liebe stoppt die Zeit
William Shakespeare als Ballett: Der Choreograf über „Romeo und Julia“ am Gärtnerplatz. Das AZ-Interview mit Hans-Henning Paar über den Gärtnerplatz, warum William Shakespeare ein Riesenarschloch ist und das Rauchverbot.
Im Residenz Theater sind Romeo und Julia eben verstorben, nun lebt Shakespeares tragisches Liebespaar am Gärtnerplatz wieder auf: Hans-Henning Paar choreografiert ihre Geschichte beim Tanz Theater München.
AZ: Liebe, Ball und Kampf – das ruft nach Tanz.
HANS-HENNING PAAR: Ich finde eher: William Shakespeare – das ist der Mensch mit seinen Leidenschaften. Nächste Spielzeit kommt ein „Sommernachtstraum“. Auch „Macbeth“ kann ich mir vorstellen. Das sind zeitlose Themen, die sich zum Tanzen eignen. „Romeo und Julia“ reizt mich aber auch wegen Prokofjews wunderbarer Musik.
Warum ist sie so gut?
Bei Tschaikowsky haben die ersten Akte einen Handlungsfaden. Dann folgt in den Divertimenti Tänzchen auf Tänzchen. Prokofjew hat als erster für ein Handungsballett größere sinfonische Bögen komponiert. Deshalb wurde die Musik anfangs von den Tänzern abgelehnt und das Ballett nicht in Russland uraufgeführt, sondern 1938 in Brünn.
Passt das Orchester in den Gärtnerplatz-Graben?
Wir haben die Besetzung verschlankt. Auch in der Staatsoper spielen übrigens nicht alle vorgeschriebenen Musiker. Wir haben ein paar Umstellungen vorgenommen und das folkloristische Zierwerk gestrichen, weil es die Handlung nicht vorantreibt. Normalerweise tanzen nur Romeo und Julia, Tybalt ist zum Prügeln da und der Rest mimt. Das wollte ich nicht.
Brecht glaubte, Romeo und Julias Liebe hätte das Sockenflicken nicht überstanden.
Deswegen ist William Shakespeare ein Riesenarschloch. Er hat diesen unendlichen Liebestraum in die Welt gesetzt und uns verblendet. Wir alle sehnen uns danach – aber es bleibt ein wunderbares Märchen.
Was machen Sie mit den Kampfszenen?
Ich komme ganz ohne Waffen aus. Das sind Mittel, die nicht mehr gehen, weil es gleich nach Monty Python’s aussieht. Bei mir ist der Mensch die Waffe. Aber Blut wird es geben.
Versetzen Sie „Romeo und Julia“ in die Gegenwart?
Nein. Für Cadillacs auf der Bühne gibt es Bernsteins Musical-Version „West Side Story“. Das Aufbegehren gegen die Eltern ist zeitlos. Das war in der Renaissance nicht anders als heute. Für mich sind Romeo und Julia die einzig normalen Figuren. Alle anderen sind Karikaturen ihrer selbst. Sie kreisen chorografisch in ihren Bahnen. Das Bühnenbild hat ebenfalls eine eigene Mechanik, entsprechend zur Handlung, die bei William Shakespeare genau 72 Stunden dauert. Prokofjew hat das Ticken der Zeit als Grundtakt komponiert: Man hört es überall – nur in der Balkonszene setzt das Metrum aus.
Die Konkurrenz am Max-Joseph-Platz hat noch immer John Crankos Choreografie von 1968 im Repertoire. Mögen Sie diesen Klassiker?
Wir tanzen barfuß, das Staatsballett auf Spitze. Cranko war der Erneuerer des Handlungsballetts. Die Duette sind nach wie vor wunderschön, aber die Gruppen finde ich museal. Crankos Julia ist ein liebliches kleines, verspieltes Mädchen. Mit William Shakespeare hat das nichts zu tun. Und Romeo steigt mit Stiefeln aus dem Bett. Das geht nicht mehr.
Beim letzten Interview hatten Sie noch eine Zigarette in der Hand.
Ich bin heilfroh, dass die Zeit vorbei ist. Ich habe 25 Jahre lang gut eine Schachtel täglich geraucht. Das Rauchverbot hat mir das Aufhören leicht gemacht: Jetzt bekomme ich das Nikotin nicht mehr dauernd unter die Nase geblasen.
Sie sprechen als Konvertit.
So ist es: Ehemalige Raucher werden die widerlichsten und militantesten Nichtraucher.
Robert Braunmüller
Premiere heute um 19.30 Uhr. Weitere Vorstellungen am
17. und 22. Juni sowie am
5. Juli. Karten: Tel.21 85 19 60