Die letzte Prise Arsen
In den 80ern hat er mit dem Liederschreiben aufgehört, weil er fand, dass alles gesagt sei. Ab 2001 sah man ihn nicht mehr im Konzert. Ohne Verbitterung im Abschied erlebte man auch in München bei seiner letzten Tour einen Künstler, der das Alter noch einmal mit auf die Bühne nahm. Gleichzeitig wusste, dass seine wache Kraft reichen würde, um seinem Publikum die Klaviereleganz zu geben, deren Kontrast zum abgründigen Parlando seiner Texte stand. Am Dienstag ist Georg Kreisler mit 89 Jahren in einem Salzburger Krankenhaus an den Folgen einer Infektion gestorben.
Abgründiges Parlando
Die Verwerfungen der Geschichte haben Kreisler vom Emigranten zum Ortlosen gemacht, der ohne Sentimentalität seinen Wohnort wechselte. Geboren 1922 in Wien als Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts, floh er mit den Eltern 1938 noch rechtzeitig vor den Nazis nach Amerika. Um dort 1943 die Staatsbürgerschaft anzunehmen und nach dem Krieg in der Filmindustrie sein Auskommen zu finden. Von Charlie Chaplin ließ er sich dessen Filmmusikidee zu „Monsieur Verdoux” vorpfeifen. Notierte sie, um sie für das Arrangement zu Hanns Eisler zu tragen.
Als glückloser Solokünstler ging er 1955 zurück nach Wien, hatte sein Chanson-Debüt in der Marietta-Bar, spielte mit Bronner, Wehle und Qualtinger. 1958 erschien „Taubenvergiften im Park”. Während die Spießer bei Kreisler mit Arsen im Picknickkorb loszogen, setzte der Mainstream auf Kitschfantasien. Filme wie „Im Prater blüh’n wieder die Bäume”, die die Kriegsverantwortung betäubten. Ende der 50er kam Kreisler mit Ehefrau Topsy Küppers nach München. In den 70ern spielte er mit seiner kommenden Frau Barbara Peters in Berlin. Dann Salzburg, Basel und wieder Salzburg. Über die „Tauben” hat Kreisler noch mehrmals nachgedacht. „Spielen wir Unfall im Kernkraftreaktor” wurde später daraus. Kreisler zeigte, dass es eine Form des homo ludens gibt, der im Spiel, ohne es zu wissen, mit fröhlicher Blödheit eine grauenhafte Welt enthüllt.
Begeisterung für den Ignoranten
Schön, wenn’s den anderen trifft. Gerne hilft man da auch ein bisserl nach, wie in „Der guate alte Franz”. Wie überlebt ein Künstler zwischen solchen Gestalten? Als „Triangelspieler” beispielsweise. Einer, der sein Leben lang immer auf seinen Einsatz wartet, auf diesen einen Tonmoment, der, wie gekommen, so schon verhallt ist. Im Publikum sitzt dann die mustergültige Figur des Musikkritikers, der, gesegnet mit dem Talent des Unmusikalischen, Zampano einer Medieneventkultur ist, die sein „hohnerfülltes Lachen” liebt. Kreisler hatte eine Begeisterung für den Typ des Ignoranten, der bei ihm gerne als Ich-Erzähler sprach. „Blumengießen” – wenn auf dieser komischen weiten Welt die Waffen ausgepackt werden, kann man immer noch die heimischen Pflanzen hätscheln.
Am Klavier saß ein Mann mit süffisantem Lächeln. Einer Eulenbrille, durch die man klar das Biedere und Verkommene sah. Sie haben ihn in Österreich für diesen Durchblick gehasst. Sie haben ihn zensiert. Aber sie konnten keines seiner Lieder besiegen.
Bis zum Schluss hat er komponiert. Ernste Stücke. Gefragt, was man an seinem Totenbett spielen solle, sprach Kreisler noch in diesem Sommer in einem ZEIT-Interview: „Gar nichts”. Sterben ist der Übergang zum Schweigen. Hoffentlich ist Georg Kreisler mit einem letzten schlauen, bösen Lächeln verstummt.