Die lange Reise des Sound of Thunder
Ein Abend im Wigwam des bayerischen Bluesers: Am Montag zeigt das BR in seiner Reihe „Lebenslinien“ ein Porträt des Isarindianers, der als erster den Blues schlüssig in die Bayerische Sprache übersetzte.
Im Ofen knackt ein Feuer. Tannenstämme stehen verteilt im Raum. An ihnen hängen Knochen, Lederbeutel, Holzstücke: Medizin. Wir sitzen am Boden auf Decken, Felle zu unseren Füßen. Willy zeigt ein Treibholz, das er an der Isar gefunden hat. Die Natur hat ihm einen Schlangenkopf und einen gewundenen Körper gegeben. Nebensächliches gibt es in dieser Wohnung nicht. Alles hat eine, seine Bedeutung. Wer länger mit Willy Michl spricht, sollte die kleine Angstschwelle vor dem Anderssein übertreten. Als Sound of Thunder geht Willy den „Roten Weg“.
Am Montag zeigt das BR in seiner Reihe „Lebenslinien“ ein Porträt des Isarindianers, der als erster den Blues schlüssig in die Bayerische Sprache übersetzte. Unser Gesprächseinstieg dreht sich um den Dalai Lama, buddhistische Disziplin und Leonard Cohens Zen-Buddhismus. „Hier wird immer von Freiheit geredet. Die Freiheit aber wird überall reglementiert“, findet Willy. Der kreative Mensch muss an seine Grenzen stoßen. Freiheit, die gibt es für ihn nur im Menschen selber. „Ich habe versucht, sehr frei zu sein, und es ist mir fast gelungen.“ Er lacht. Im Zimmer ist es mollig warm. Willy trägt einen Lendenschurz zum nackten Oberkörper.
Kein getunter Selbstdarsteller
„Willy, was war Dein Großvater für ein Mann?“ lautete die erste Frage am ersten Drehtag der Lebenslinien. „Ich hatte zwei Großväter“, sprach der Indianer. Wer mit Willy einen Film macht, bekommt keinen getunten Selbstdarsteller. „Am zweiten Drehtag war ich dermaßen platt, da hab ich mir gedacht, jetzt können mir die am Buckel rutschen. Jetzt bleib ich in meinem Bett liegen.“ Kameramann Benedikt Preisinger ergriff die Gelegenheit, drehte wunderbare Szenen.
An der Isar kam es zu Grundsatzdiskussionen, mit dem ersten Regisseur von zweien, als das Wetter umschlug. „Ich will keine Tristess“, fand der Regisseur. „Die Tristess sehen wir nicht, wir sehen nur ein bisschen Regen,“ fanden Willy und der Kameramann und drehten weiter auf der vom Regen frei gewaschenen Rossgumpe. Willys pantheistische Vorstellung geht über Menschen und Tiere hinaus, schließt Pflanzen und selbst das ein, was man gemeinhin unbelebte Natur nennt. „Alles hat eine Seele“, ist so ein Willy-Satz. Willy holt glühende Holzstücke aus dem Feuer, bröselt Baumharz darüber. Copal. Das lässt er sich aus Amerika von Freunden mitbringen. Ätherischer Qualm füllt den Raum. „Dieser Rauch macht, dass wir nicht mehr nach Menschen riechen. Den menschlichen Geruch mögen die Geister nicht so gern.“ Dadurch, erklärt der Indianer, kommen die guten Geister zu Besuch und negative Geister werden vertrieben.
„Unser Leben ist zu schnell“
Demnächst will der 57-Jährige ein neues Album aufnehmen. Auf dem Trikont-Sampler „Den sie Willy Michl nennen“ gibt es schon einen Ausblick auf das Material. Ein Song, den er mir vorsingt, ist Bruder Schwarzfichte gewidmet. Auch wenn im Kamin ein Feuer brennt, Willy ist sich bewusst, dass die Natur zwar gibt, man ihr aber nichts entreißen sollte. „In dieser Gesellschaft wird nur genommen, sie wollen nichts geben,“ bedauert er. Aus dem Minderwertigkeitskomplex, den viele Menschen mit sich herumtragen, findet seine Frau Cora, entstehen Neid und Habgier. Vor dem Fenster ihrer Wohnung stand ein Baum, bis der Sturm seine Spitze abbrach. Willy versuchte, seine Abholzung zu verhindern. Sie holten die Fichte als Willy noch schlief. Cora sah ihn eines Morgens im letzten Oktober fallen. Heute liegen Holzscheiben von Bruder Schwarzfichte auf einer kleinen Steinplatte. Willy singt, begleitet sich mit rhythmischem Klatschen auf den Oberschenkel: „They killed my standing brother“, geht die letzte Zeile. Vor den Fenstern wird es Nacht. „Unser Leben ist zu schnell.“ Sagt Sound of Thunder. Und blickt ins Feuer. Langes Schweigen.
Christian Jooß
Das Porträt über Willy Michl in der BR-Reihe „Lebenslinen“ am Montag 20.15 Uhr