Die Kunst-Ikone aus der Wüste
Die Hypo-Kunsthalle zeigt eine Retrospektive der Amerikanerin Georgia O’Keeffe
Aus den Kelchen weißer Stechapfelblüten ragen vitale Stempel, deren Enden wie Finger ins Leere greifen. Im Zentrum des Klatschmohns wartet ein dunkles Geheimnis, und die lila Petunien blähen sich wie Mönchskutten im Wind. Man kennt die scharf angeschnittenen Blumen-Close-Ups, in jeder Postergalerie sind sie zu haben. Die Künstlerin dagegen ist weniger geläufig, auf dem europäischen Markt hat die Amerikanerin Georgia O’Keeffe (1887-1986) nie wirklich Fuß gefasst. Sie malte zwischen allen Stühlen und natürlich mehr als Blüten und Blätter. 98 Jahre wurde sie, eine Menge hat Platz in so einem Leben – das zeigt jetzt eine Retrospektive in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung.
In Deutschland ist das die erste große Ausstellung O’Keeffes überhaupt. Erstaunlich, denn in den USA kennt jedes Kind die eigenwillige Kunstpionierin. Zumindest ihr Konterfei, das wenigstens so oft fotografiert wurde wie das von Filmstars und Präsidenten. Ein Marketing-Konzept, das üppige Früchte trug, kreiert von ihrem Entdecker, Mentor, Galeristen und schließlich Ehemann Alfred Stieglitz.
Sind ihre Blumen voll erotischer Anspielungen?
Der Fotograf und Doyen der New Yorker Kunstszene formte aus der 23 Jahre jüngeren, burschikos herben Farmerstochter aus Wisconsin eine fragile Art-Amazone. In endlosen Sitzungen entstehen Aktfotografien, die im prüden Amerika schnell einschlagen. Überhaupt ist diese Stilisierung zur Kunst-Ikone schwerlich vom Oeuvre der O’Keeffe zu trennen. Nicht erst nach dem Tod Stieglitz’ übernimmt sie selbst die Regie, zeigt sich nun als hart arbeitende Einzelgängerin in der Wüste von New Mexico. Dort, „wo das Nichts um ein paar Nummern größer ist als in Texas“, findet sie ihr Paradies und malt die typischen Landschaften, Gesteinsformationen, Canyons, Lehmhäuser, Tierschädel.
Sie schwelgt in Erdfarben, fängt ein, was ihr vor die Augen kommt. Das ist zuweilen gewöhnungsbedürftig, manches erinnert an die Airbrush-Auswüchse auf Kühlerhauben. Wäre da nicht ein kurioses Detail, eine Girlande, ein rigoroser Anschnitt, den sie aus der 20er-Jahre-Fotografie auf die Leinwand transportiert.
Das scheint weit entfernt von ihren abstrakten Anfängen, den schwer zu verortenden Dreiecksformationen, Linien, Kreisen. Und ist dem auch wieder ganz nah. Wenn sie etwa einem Haus so dicht auf den Putz rückt, dass nur noch ein dunkles Orthogon zu sehen ist, umgeben von Beige. Dass es sich um eine Tür handelt, aufs Elementarste reduziert, erklären erst ihre Fotografien. Was in der Kunsthalle schön aufgefächert ist.
Erotische Anspielungen, die sich nicht erst heute bei ihren Blumen aufdrängen, hat O’Keeffe weit von diesen Bildern gewiesen. Dabei war es letztlich die eigene Inszenierung, die solche Konnotationen befördert hat. Dass in den 70ern die Feministinnen an der Selfmade-Heroine Gefallen fanden, auch das kommt nicht von ungefähr. Wer am eigenen Bild bastelt, muss die Folgen ins Kalkül ziehen. Aber vielleicht ist dieses Hin und Her zwischen Werk und Pose das eigentlich Aufregende an Georgia O’Keeffe.
Bis 13. Mai 2012, täglich 10 bis 20 Uhr, Katalog (Hirmer) 25 Euro
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