Die Klavierabende von Anderszewski und Tokarev
Es stimmt ein wenig kulturbetriebskritisch, wenn ein bekannter Pianist vor halbvollem Herkulessaal Beethovens Diabelli-Variationen spielt und wenige Tage darauf ein mehr oder weniger aus Zugabestücken bestehender Klavierabend fast ausverkauft ist. Aber es wäre Unsinn, Piotr Anderszewski und Nikolai Tokarev gegeneinander auszuspielen: Sie waren auf ihre Weise beide hervorragend.
Anderszewski näherte sich Beethovens zwischen Kontrapunkt, Spätwerks-Ernst und bösen Scherzen schwankende Variationen über Schumanns „Gesänge der Frühe“ und Bach. Die Klangkultur des Polen ist einmalig, auch wenn die etwas unterkühlt dargebotene Englische Suite Nr. 5 bisweilen rasselte. Die 33 Diabelli-Variationen setzte er in harter Fügung gegeneinander. Zur Vielfalt dieses Kosmos zählten auch unglaublich machtvoll dröhnende Bässe, die Sehnsüchte nach Virtuosität vollauf befriedigten.
Bei Nikolai Tokarev gehört die mühelose Sicherheit zum Kerngeschäft. In den raschen Stücken aus Tschaikowskys „Jahreszeiten“ betonte er ein wenig den Nachdruck zu Lasten der Eleganz. In der „Juni“-Barcarole bewies er, dass er auch anders kann. In der „Dumka“ tanzten dann die Kosaken auf dem Tisch. Die alberne Paraphrase über Themen von Tschaikowskys Oper „Pique Dame“ erheiterte ebenso wie die nach der Manier Gershwins swingende „Schwanensee“-Suite von Alexander Rosenblatt.
Man könnte dergleichen schlecht gelaunt als Quark abtun. Bei Tokarev kommt er dank seines technischen Könnens immerhin aus der Feinkostabteilung. Gut gewürzt ist er auch. Und falls jemand Beethoven vermisst haben sollte: Mit dessen Klavierkonzert Nr. 5 kehrt dieser charmante Wunderknabe am 3. März nach München zurück.
Robert Braunmüller
- Themen:
- Herkulessaal
- Ludwig van Beethoven