Die Horowitz-Methode

Die Pianistin zerstritt sich mit Claudio Abbado. Lachende Dritte sind jetzt Münchner Musiker, die mit Hélène Grimaud Mozarts Klavierkonzerte einspielen durften
von  Robert Braunmüller

Es ist gewiss das Orchester mit den weltweit meisten Genitiven im Namen: das Kammerorchester des Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Gegründet 1999 vom Geiger Radoslaw Szulc und zwölf weiteren Streichern gibt es in jeder Saison fünf sonntägliche Vormittags-Konzerte im Prinzregententheater.

Prominente Solisten wie Pinchas Zuckerman, Julia Fischer und Daniel Müller-Schott arbeiten gerne mit den Musikern zusammen. Vor gut einer Woche erschien nun der Live-Mitschnitt zweier Mozart-Klavierkonzerte mit der Pianistin Hélène Grimaud. Nach Recherchen der „New York Times” profitiert das Kammerorchester dabei als lachender Dritter von einem Streit zwischen der bisweilen kapriziösen Pianistin und dem Dirigenten Claudio Abbado um 30 Takte und vielleicht 80 Sekunden Musik.

"Künstlerische Differenzen"

Im vergangenen Sommer rätselten Insider über die Absage gemeinsamer Auftritte beim Lucerne Festival und in London, die lediglich mit der nichtssagenden Formel „künstlerischer Differenzen” begründet wurde. Dahinter steckt offenbar ein Konflikt, der im Mai 2011 bei Proben und Aufnahmesitzungen in Bologna über die Kadenz kurz vor Schluss des ersten Satzes von Mozarts Klavierkonzert KV 488 entbrannte.

Komponisten vor Beethoven überließen dieses große Solo der Improvisation des Pianisten. Für das fragliche Konzert gibt es allerdings eine Kadenz Mozarts, die Grimaud jedoch uninspiriert findet. Nach dem Vorbild von Vladimir Horowitz bevorzugt sie die Version des deutsch-italienischen Klaviervirtuosen und Komponisten Ferruccio Busoni (1866 - 1924).
Die schmeckt zwar ein wenig nach Liszt und Brahms, aber Kadenzen sind nun einmal das Revier des Solisten. Das wollte wiederum Abbado nicht respektieren. Er bestand auf Mozarts Version. Zeugen der Auseinandersetzung halten den Streit allerdings für das Symptom einer tiefgreifenden Entfremdung, wie sie im Leben wie in der Kunst öfter einmal vorkommt.

Zum Glück schneidet der BR alles mit

Die Grimaud hatte das gleiche Programm zu ihrer Zufriedenheit bereits einige Monate zuvor im Prinzregententheater gespielt. Da alle Konzerte des Kammerorchesters vom Bayerischen Rundfunk mitgeschnitten werden, konnte die Deutsche Grammophon Grimauds erste Mozart-Platte dann auch ohne größere Verzögerung veröffentlichen, aufgenommen in München.

Als Zugabe singt Mojca Erdmann die Arie „Non temer, amato bene” KV 505, bei der das Klavier mit dem Sopran konzertiert. Auch wenn man Grimauds Begeisterung nicht völlig teilen muss, dass an jenem Münchner Vormittag „die Zeit stillstand”: Festgehalten wurde eine im guten Sinn traditionelle und lebendige Aufführung. Und den umständlichen Namen des Kammerorchesters verbindet man nun auch außerhalb Münchens mit höchster handwerklicher Solidität.

Mozart, Klavierkonzerte KV 459 und 448, Deutsche Grammophon

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