Die Gunst der Stunde
Ein neues Album und der erste Roman – der Deutschrocker über Liebe, Leichtigkeit und seinen größten Fehler
Mit „Dein ist mein ganzes Herz“ hatte er seinen größten Hit: Heinz Rudolf Kunze feiert nun sein 30-jähriges Bühnenjubiläum mit dem neuen Album „Gunst der Stunde“, im Herbst folgt sein erster Roman „Vor Gebrauch schütteln“. Im AZ-Interview spricht er über neue Töne und Dinge, die er heute anders machen würde.
AZ: Herr Kunze, was hat es mit dem Titel „Gunst der Stunde“ auf sich?
HEINZ RUDOLF KUNZE: Das ist ein Titel, den ich schon viele Jahre im Kopf hatte. Jetzt war der passende Moment dafür. Wir hatten eine so unglaubliche freundschaftliche, friedliche Zeit im Studio wie noch nie. Ich bin es gewohnt, dass man sich auch streitet und mal die Fetzen fliegen, wenn man sich mit den Kollegen auseinander setzt. Das war diesmal ganz anders. Wir haben einfach einen guten Moment erwischt. Einen Moment von acht Wochen.
Wann war das?
Aufgenommen haben wir in den heißesten Wochen des letzten Sommers, im Juli und August. Dschungelcamp mit Musik sozusagen. Wir waren in einem Studio ohne Klimaanlage, die Sonne brannte rein und wir sind fast zerlaufen vor Hitze. Dadurch ist die Musik auch groovender und lockerer geworden. Das hat schon fast was von New Orleans.
Kommt diese Leichtigkeit auch daher, dass Sie 2009 zum zweiten Mal geheiratet haben?
Wenn es einem privat besser geht, und das ist so bei mir, dann hat das Auswirkungen auf die Musik. Ob man will oder nicht werden die Farben auf der Platte etwas heller und freundlicher. Die düsteren Farben, die früher bei mir eine große Rolle gespielt haben, sind zwar noch da. Aber in der Minderheit. Die neue CD ist musikalisch lockerer und nicht so angestrengt wie manches in der Vergangenheit.
Und sehr persönlich, wie der Titel „Ich liebe Dich“. War es eine Überwindung, sich so mitzuteilen?
Das ist das Entscheidende. So ein Lied hätte ich vielleicht auch vor zehn Jahren schreiben können. Aber ich hätte es nicht veröffentlicht. Ich hätte mich nicht getraut, das so auf die Leute loszulassen und es direkt zu sagen.
Sie stehen seit 30 Jahren auf der Bühne und in der Öffentlichkeit. Gibt’s Dinge, die Sie im Rückblick anders machen würden?
Ich würde mich nicht noch einmal hergeben für eine Initiative wie die Radioquote für deutsche Musik. Das wurde mir sehr angelastet, als wäre es meine Idee gewesen. Das war es nicht. Ich habe mich nur als Sprecher hergegeben für die Initiative, die am Ende 700 deutsche Musiker unterschrieben haben. Dafür wurde ich übel beschimpft. Teile der Musikpresse sagten, ich wäre ein Kultur-Hitler und würde unser Land einmauern wollen gegen Einflüsse aus England und Amerika. So ein Quatsch. Ich habe überhaupt nichts gegen diese Musik, ich bin durch und durch von ihr beeinflusst. Als diese bösen Stimmen aufkamen, ließen mich die Kollegen im Stich. Das war sehr bitter. Plötzlich wollte keiner mehr was damit zu tun haben, und ich habe die ganze Prügel alleine eingesteckt. Musiker sind nicht solidarisch.
In Ihrem neuen Album befassen Sie sich auch mit der Endlichkeit. Das Lied „Der stille Gast“ handelt vom Tod.
Meine Mutter ist gestorben, kurz bevor das Album losging. Das Lied handelt aber nicht direkt davon. Sondern davon, dass bei uns allen vom Moment unserer Geburt ein Beobachter in der Ecke sitzt, der weiß, wie lange unsere Uhr läuft. Irgendwann wird er aufstehen und uns mitnehmen. Nur wir wissen nicht, wann. Das betrifft uns alle.
Ihre Mutter hatte Sie um Sterbehilfe gebeten. Sie haben sich dagegen entscheiden.
Ja. Muss man ja. Es ist immer noch eine ganz schwierige juristische Situation, in der ich mir mehr Klärung wünschte. Ich kann da auch kein ethisches oder religiöses Argument zitieren. Wenn man schon religiös argumentieren will, dann muss man doch sagen: Wenn der liebe Gott uns die Freiheit geschenkt hat, dass wir uns entscheiden können zwischen Gut und Böse, dann hat er uns auch die Freiheit geschenkt, selbstverantwortlich über unser Abtreten zu entscheiden. Und wenn man atheistisch an die Sache rangeht, sehe ich sowieso keinen Hinderungsgrund.
Hadern Sie heute noch mit dem Tod?
Immer. Ich habe keinen Frieden mit dem Tod gemacht. Ich weiß zwar, dass er mir blüht wie uns allen. Trotzdem finde ich den Gedanken unerträglich, dass ich entbehrlich sein soll. Ich halte mich für unentbehrlich.
Aber der Tod macht uns doch auch alle gleich.
Ja schon. Mein Idol John Cleese hat gesagt: „Ich habe nichts gegen den Tod. Die meisten berühmten Leute sind es.“ Das ist englischer Humor, wie er mir gefällt.
Vanessa Assmann
„Die Gunst der Stunde“ ist bei Ariola erschienen