Die große Warnung: Goldene Palme für Michael Haneke

Glanzvolles Ende des Filmfestivals in Cannes: Der gebürtige Münchner Regisseur Michael Haneke gewinnt die Goldene Palme für seinen Film "Das weiße Band"
von  Abendzeitung

Glanzvolles Ende des Filmfestivals in Cannes: Der gebürtige Münchner Regisseur Michael Haneke gewinnt die Goldene Palme für seinen Film "Das weiße Band"

CANNES Isabelle Huppert war die kühle Sphinx des Festivals, süffisant lächelnd, dabei keinen Spaß verstehend. Jetzt trat sie als Schlussakt im weißen Abendkleid im Palais du Festival vor das Mikro und verkündete den Gewinner der Goldenen Palme. Der Abend war zunehmend spannend geworden, nachdem die provokantesten Filme bereits mit Nebenpreisen abgehandelt worden waren: Der charmante Österreicher Christoph Waltz hatte Brad Pitt an die Wand gespielt und den Darstellerpreis bekommen für seine Rolle als kultiviert-zynischer SS-Offizier in Tarantinos ernst-humorvollem Cannes-Wunder "Inglorious Basterds".

Auch der überpsychologische Sex & Gewalt-Schock von Lars von Trier, "Antichrist", war schon mit Charlotte Gainsbourg als bester Schauspielerin geehrt worden. Mit diesen Preisen hatte die Jury es umgangen, die problematischsten, wenn auch interessante-sten Filme in noch höhere Sphären zu hieven. Dann geschah die Überraschung:

Die Goldene Palme ist auch ein Triumph des deutschen Films

Isabelle Huppert, die Unbestechliche, verkündete einen alten Freund als Palmen-Gewinner, dem sie selbst als "Klavierspielerin" den Darsteller-Preis 2001 in Cannes verdankte und der damals auch den Großen Jury-Preis holte: Michael Haneke. Die Goldene Palme für "Das weiße Band" an den gebürtigen Münchner und Österreicher ("Funny Games") ist auch ein Triumph des deutschen Films – gedreht mit deutschem Geld, deutschen Größen wie Ulrich Tukur, Joseph Bierbichler und Burkhart Klaußner, und eine "deutsche Kindergeschichte" erzählend, wie Haneke sagt – was fast zynisch gemeint ist.

Denn "Das weiße Band" ist eine harte, geniale, zweieinhalbstündige Erzählung in Schwarz-Weiß am Vorabend des Ersten Weltkriegs von einem norddeutschen Dorf, wo scheinbar grundlos unaufgeklärte Grausamkeiten an Kindern passieren.

Kühl stilisierte, mahnende Botschaft

Dass die Goldene Palme an diesen strengen Film ging, überraschte auch, weil Cannes meist Filme bevorzugt, die sich mit der Gegenwart auseinandersetzen. Aber wer über "Das weiße Band" nachdenkt, wird schnell merken, dass hier im Jahr 1914 Allgemeingültiges erzählt wird: Dass Erziehung ohne Wärme in einem Moralkorsett ohne Freiräume Kinder und damit spätere Erwachsene so deformiert, dass sie kaum eine menschliche Gesellschaft formen können. Diese mahnende Botschaft – dargestellt in der gewohnt fantastisch kühl stilisierten, sezierenden Art des Michael Haneke – hat Cannes mit dieser Goldenen Palme in die Welt getragen.

Adrian Prechtel

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