Die größte Klangkörper-Leistungsshow der Welt

Orchester aus Chicago, Wien und Berlin am letzten Wochenende der Salzburger Festspiele
Robert Braunmüller |
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Beethoven schaffte es noch, im Verlauf einer Symphonie durch Nacht zum Licht zu gelangen. Später kam dieser Optimismus unter Verdacht. Die Schluss-Sätze von Mahlers Siebter und die Fünfte von Schostakowitsch sind die klassischen Beispiele für einen schmetterndem Triumphalismus, der möglicherweise höhnisch gemeint sein könnte und Dirigenten wie Musiker deshalb vor ein zu lösendes Problem stellt.

Beim letzten Wochenende der Salzburger Festspiele waren beide Symphonien kurz hintereinander zu hören: Riccardo Muti dirigierte Schostakowitsch, Simon Rattle Mahler. Weil sich der neapolitanischen Salzburg-Dauergast allen zeitgeistigen Moden verweigert, war es fast zu erwarten, dass er den historischen Zusammenhang der doppelbödigen „Antwort eines sowjetischen Künstlers auf eine berechtigte Kritik” ausblenden würde. Muti verstand Schostakowitschs Fünfte mit dem Chicago Symphony Orchestra als pure Musik und neoklassizistische Stilübung.

Das ist zwar nach den vielen übersteuerten Schostakowitsch-Aufführungen eine Erholung, widerspricht aber teilweise dem Notentext: Wenn auf dem Höhepunkt des Adagios die Kontrabass-Grummler im doppelten Fortissimi klinisch sauber gespielt werden und und das gleißende Klaviergehämmer in den letzten Takten des Finales unhörbar bleibt, stimmt etwas nicht.
Unter Fritz Reiner und Georg Solti waren die Chicagoer einst das perfekteste Orchester der Welt. Mittlerweile haben die Europäer mächtig aufgeholt, und die Amerikaner erinnerten in ihren Salzburger Konzerten eher an mäßig aufgelegte Münchner Philharmoniker in einem Abo-Konzert. Das angeberische Blech wog bei Hindemiths „Symphonie in Es” und Ausschnitten aus Prokofjews „Romeo und Julia”-Ballett klangliche Defizite bei den Streichern und die beamtenhafte Grundhaltung kaum auf.

Gewiss liefern die Berliner Philharmoniker zu Hause auch routinierte Abende ab. In Salzburg aber spielen sie dagegen regelmäßig mit vollem Körpereinsatz, Risikofreude und einem Selbstbewusstsein, das die Grenze zur Eitelkeit bisweilen überschreitet. Simon Rattle moderiert hundert Kammermusiker, statt wie Muti ein Orchester zu dominieren. In Finale von Mahlers Siebter funktionierte diese demokratische Lässigkeit erstaunlich gut: Das Jubelfinale wirkte plötzlich ungebrochen echt, als hätten die Mahlerianer ein Jahrhundert lang falsch gehört.

Am zweiten Abend profitierte Bruckners Neunte vom Willen der Berliner, auch bei den Ausbrüchen alle Nebenstimmen hörbar zu machen und die intimen Momente zwischen den Steigerungen in aller Ruhe auszuspielen. Doch insgesamt schlug die Perfektion in Glätte um, weil sich Rattle zu wenig für die Dramatik und den Altersgrimm der Musik interessierte.

Die Wiener Philharmoniker hatten es ausnahmsweise in diesem Umfeld schwer. Unter dem Edelroutinier Franz Welser-Möst spielten sie Alexander von Zemlinskys zwischen Alban Berg und Puccini schillernde „Lyrische Symphonie”. Leider konnten sich die textunverständlich singenden Solisten Michael Volle und Christine Schäfer kaum gegen die Philharmoniker durchsetzen. Das ändert nichts am Grundsätzlichen: Ein so starkes Wochenende spannend programmierter Orchester-Auftritte gibt’s nur bei den Salzburger Festspielen. Hoffentlich bleibt das auch so in der Zeit nach dem scheidenden Konzertchef und Interims-Intendanten Markus Hinterhäuser.

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