Die ganz hohe Kunst

Booker-Preis: Julian Barnes’ ausgezeichneter Roman „Vom Ende einer Geschichte”
von  Volker Isfort

Tony Webster ist ein zufriedener Rentner: Er hat die größte Strecke seines Lebens ohne allzuviel Schmerzen und Störfälle bewältigt und pflegt ein ebenso entspanntes Verhältnis zu seiner Tochter wie zu seiner Ex-Frau. Doch die vermeintliche innere Ruhe kippt, als er eine seltsame Erbschaft macht. Die Mutter einer vierzig Jahre zurückliegenden Freundin vererbt ihm das Tagebuch seines Schulkameraden Adrian, der nach ihm eine Beziehung zu Veronica einging und kurze Zeit später Selbstmord verübte. Die Echos der Vergangenheit kommen wieder hoch. Was geschah damals wirklich, trügt Websters Erinnerung? Und warum weigert sich Veronica, ihm das Tagebuch auszuhändigen?

Witz, Weisheit und ein bis zur Perfektion geschliffener Stil sind die Markenzeichen von Barnes’ Prosa. Vier Mal schon stand er auf der Shortlist des Booker-Preises, doch erst im Oktober erhielt er endlich die Auszeichnung für „Vom Ende einer Geschichte”. Dass der wichtigste Preis der englischsprachigen Literatur von einer seltsamen Debatte über die Lesbarkeit begleitet wurde, nahm Barnes gelassen: „Alle großen Werke der Literatur sind lesbar, mit Ausnahme vielleicht von ,Finnegans Wake’.”

Barnes schmales, aber gewichtiges Buch erzählt im erste Teil die Schul- und Jugendzeit des Protagonisten in den 60er Jahren, der zweite Teil handelt von seiner Recherche. Denn, dass die Erinnerungen nicht nur – laut Nooteboom – „ein Hund sind, der sich hinlegt, wo er will”, sondern auch im quasi flüssigen Zustand, das muss Webster sehr schmerzvoll erfahren.

Barnes gelingt es scheinbar mühelos, seine Betrachtungen über das Alter, das Vergessen und die Schuld in einer bewegenden Geschichte zu verweben, die er fast bis zur letzten Seite genüsslich mit Krimi-Spannung offen hält.

Julian Barnes: „Vom Ende einer Geschichte” (Kiepenheuer & Witsch, 192 Seiten, 18.99 Euro)

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